Das geheime Verlangen der Sophie M.
verändert, aber es brachte mich immer noch zum Lachen, es beruhigte mich, dass es da draußen ein Netz von Menschen gab, auf die ich mich verlassen konnte, auch wenn keiner außer Thomas und Charlotte eine Ahnung hatte, warum ich trauerte.
»Verdammt, dann sollte ich mich wohl besser am Riemen reißen!«
Ich konnte sie nicht abwimmeln. Ich rief gleich darauf noch einmal bei Thomas an und sagte, es gehe mir gut und er müsse sich keine Sorgen machen, stieß aber auf taube Ohren. Mit sich verhandeln ließ er lediglich über die DVDs. Wir entschieden
uns für Katastrophenfilme und Politthriller – nichts, was mich in mein Weinglas heulen lassen würde wie irgendeine verkorkste Bridget Jones.
Am Ende war es wundervoll. Ich merkte plötzlich, dass ich die Trauer satthatte. Ein Leben in Trübsal wird mit der Zeit anstrengend, deprimierend und verflucht stumpfsinnig, und als die Naturgewalten in Gestalt von Thomas und Charlotte mit Weinflaschen, DVDs und teuren Pralinen in der Hand in meine Wohnung einbrachen, war ich plötzlich bereit, alles von mir abzuschütteln oder es zumindest zu versuchen. Dabei halfen Wein, Knabberzeug und die haarsträubendste Actionshow, die ich je gesehen hatte und die mit Wein noch lustiger war. Die beiden kamen am Freitagabend, wir schalteten früh den Fernseher ein, denn Thomas war und blieb zwar mein bester Freund, aber er war ein Mann, und als er sah, dass jede Erwähnung von James meine Lippen zum Beben brachte, begnügte er sich mit Small Talk über den Film und vermied jede Tränenflut. Nach ein paar DVDs und mehreren Flaschen Wein überließ ich den beiden mein Bett und schlief auf dem Sofa. Am nächsten Morgen wollten wir gleich weiter fernsehen, ich hatte ihnen aber erst ein üppiges Frühstück versprochen.
Am Samstag um halb neun klingelte es, und ich musste ein missmutiges Brummen hinunterschlucken. Ich erwartete eine Lieferung von Amazon und wusste, dass ich öffnen müsste, aber es war noch so früh, und ich sah aus, als hätte man mich rückwärts durch eine Hecke gezogen. Außerdem hatte die Klingel wohl gerade verhindert, dass Thomas und Charlotte ausschlafen konnten.
Doch vor der Tür stand nicht der Postbote. Es war der Mann, den ich am allerwenigsten je wieder auf meiner Schwelle erwartet hatte. Ich muss überrascht ausgesehen haben, aber Wut …
Wut war die vorherrschende Emotion. Er hatte den Anstand, verlegen zu blicken, wich aber einen Schritt zurück, als hätte er auch ein bisschen Angst. James war ja nicht dumm.
»Hallo. Entschuldige, dass ich so früh klingle.«
Ich hätte ihm am liebsten eine runtergehauen, aber ich verschränkte die Arme über meinem T-Shirt und starrte ihn nur an. Als Journalistin bin ich mir der Macht des Schweigens bewusst. Ich sagte nichts, sah ihn mir nur ganz genau an. Er wirkte müde, war aber noch immer so sexy, dass mich ein Stich durchfuhr, aber der war nicht so heftig, dass ich ihm nicht gegen das Schienbein treten wollte. Ich wusste nicht, ob dies gut oder schlecht war.
Nach einer Weile hielt er es nicht mehr aus. »Du hast mich wohl nicht erwartet.«
Na toll! Darauf hatte ich wochenlang gewartet? Ich wollte ihn schlagen – nicht sexuell, spielerisch, sondern als einen Akt körperlicher Gewalt, der ihn aufjaulen ließ. Ich gab mir alle Mühe, gleichgültig zu klingen und lässig die Schultern zu zucken.
»Ich habe Bücher als Geburtstagsgeschenk für meine Schwester bestellt und dachte, es sei die Post.«
»Hat deine Schwester heute Geburtstag?«
»Nein, noch nicht.«
»Oh, dann …« Lange Pause. »Ich bringe nicht die Post.«
Meine Kiefer waren so verkrampft, dass es schmerzte. »Davon gehe ich aus.«
Er schwieg. Es war quälend, aber ich hatte nicht die Absicht, lockere Konversation zu betreiben. Wollte er jetzt reden? Na, dann sollte er verdammt noch mal damit anfangen. Aber das tat er nicht oder konnte es nicht. Er sah mir in die Augen und suchte nach Antworten, so wie er mich immer angesehen hatte, wenn er wissen wollte, ob ich noch mehr Strafe aushalten konnte. Es zerriss mir das Herz.
Der Moment verflog, als Thomas die Schlafzimmertür aufmachte und in Boxershorts in den Flur kam, während er sich ein T-Shirt überzog. »Alles okay, Sophie?«
Für einen Moment blieb die Welt stehen. Dann sagte James mit scharfer, böser Stimme, die ich nie zuvor von ihm gehört hatte: »Oh, Entschuldigung, ich wusste nicht, dass du Besuch hast.«
Zorn überkam mich, das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden –
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