Das geheime Verlangen der Sophie M.
in diesem Jahr so viel Berufserfahrung wie möglich, in der vagen Hoffnung, dass sie uns eine bezahlte Arbeit einbringen mochte, sobald wir den Kurs abgeschlossen hätten.
Ich zog das große Los – ein zwar unterbezahltes, unglamouröses Los, aber dennoch das große Los. Die Zeitung, bei der ich am meisten Praxiserfahrung gesammelt hatte, bot mir eine Stelle an. Mein Vater war empört, als ich ihm sagte, wie hoch oder eher wie niedrig das Anfangsgehalt war, es entsprach bestimmt nicht einem Akademikergehalt, und einem Gehalt für jemanden mit einem Aufbaustudium schon gar nicht. Aber nachdem ich so weit von der Stadt weg wohnte, konnte ich davon leben, solange
ich mir keinen Luxus gönnte – eine Heizung etwa oder häufiges Ausgehen. Es war mir egal. Ich war nun eine richtige Journalistin in Lohn und Brot und zeichnete mit meinem Namen. Einmal sah ich auf dem Nachhauseweg jemanden die Seite lesen, auf der mittendrin mein Name stand. Mir wurde so schwindlig, dass ich fast meine Haltestelle verpasste. Ich hätte nicht stolzer sein können, selbst wenn ich für eine überregionale Zeitung geschrieben hätte. Da ich auch Restaurant- und Theaterkritiken schrieb, konnte ich mir immer mal wieder ein bisschen Luxus gönnen, auch wenn ich als Jüngste in der Redaktion immer diese fürchterlichen Laiengruppenproduktionen aufgehalst bekam, die einen in den Wahnsinn trieben.
Das Leben einer jungen Reporterin ist ausgefüllt. Ich lebte fernab von zu Hause und hatte wenig Gelegenheit zum Ausgehen, abgesehen von den Drinks, die wir nach der Abgabe nahmen und dabei die Untertitel unserer Artikel analysierten. Ella, meine beste Freundin vom Seminar, hatte zwanzig Meilen entfernt bei einer Zeitung einen Job bekommen. Ich traf sie, so oft es ging, aber da ich manchmal auch abends und am Wochenende arbeiten musste und weil immer so viel los war, war ich viel allein.
Meinen Heizlüfter einzuschalten fand ich unnötig, einen Internetzugang jedoch nicht. So konnte ich über E-Mail und soziale Netzwerke mit Studienfreunden, Seminarkollegen und mit meiner Familie kommunizieren. Ich konnte Spiele spielen, und wenn ich mich einsam fühlte und mit jemandem flirten wollte, konnte ich nicht nur mit Leuten chatten, die ähnlich gelangweilt waren wie ich und sich unterhalten wollten, sondern ich konnte auch über Themen diskutieren, die ich im persönlichen Kontakt niemals angeschnitten hätte.
Ich bin wirklich der Meinung, dass das Internet die sexuelle
Landschaft in jeder Hinsicht verändert hat. Egal wie pervers deine Vorliebe ist, du kannst darauf wetten, dass da draußen im Netz jemand ist, der sie teilt. Leider sind da auch noch ein paar andere, die deine Vorliebe noch nicht pervers genug finden und dir bei jeder Gelegenheit erzählen, dass das Ganze nach ihrer Methode intensiver, geiler, einfach tausendmal besser ist als nach deiner Praxis. Steckt man einen Zeh ins Meer der BDSM-Subkultur, wird man mit einiger Frustration auch schnell feststellen, dass man von den »Insidern« (dieses Wort benutze ich zum ersten und zum letzten Mal, denn ich finde es in höchstem Grade überheblich) genauso be- und verurteilt wird wie von Außenstehenden.
Dennoch findet man im Internet ein paar nette Leute, wenn man über die verschrobenen Typen hinwegsieht. Mit Menschen, die ich auf verschiedenen Sites getroffen habe, die meine Fantasie angeregt und mich ermutigt haben, hatte ich ein paar faszinierende, geile und kluge Chats, und manche wurden mir auch im richtigen Leben gute Freunde.
Doch zuerst muss man durch einen ziemlichen Dreck waten.
Meine erste Porno-Site besuchte ich, als ich anfing zu arbeiten. Abgesehen von den Intermezzi mit Ryan, die mir noch Jahre danach als Wichsvorlagen dienten, hatte ich niemanden mehr getroffen, der mich sexuell überhaupt interessierte. Und deutliche Signale, dass er zu meinen knospenden submissen Neigungen gepasst hätte, hatte gleich gar keiner ausgesandt. Ich war so auf meine Arbeit konzentriert und lebte einfach von Tag zu Tag, dass mir die mühevolle Suche nach einem Partner lästig war. Zusammen mit einer Vorliebe für die Site literotica.com , die so heiß und dennoch in meinen stets praktisch orientierten Augen so unrealistisch war, hieß das für mich wohl, dass meine Fantasien eben Fantasien bleiben würden. Mit der Zeit fragte
ich mich sogar, ob ich meine Erfahrungen mit Ryan nicht idealisierte. Konnte der Schmerz mir wirklich so viel Lust verschafft haben? Oder sah ich diese geile Zeit in meinem
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