Das geheime Verlangen der Sophie M.
nicht für irgendein Fehlverhalten, sondern weil er die Macht genoss und wusste, dass ich den Schmerz genoss. Das klingt verkorkst, aber es beruhigte mich. Schließlich ging es mir nicht darum, schmerzhaft bestraft zu werden, wenn ich zehn Minuten zu spät kam – damit würde man das Spiel missverstehen.
Er versprach auch, es mit mir locker anzugehen. Wahrscheinlich hatten wir verschiedene Vorstellungen von dem, was als locker
durchging, aber es klang verlockend, und ich war mehr als froh, es ausprobieren zu können.
James reiste für vier Tage nach Genf. Am Ende hatten wir uns gegenseitig mit Fragen, geilen Gedanken, nächtlichen Mails verrückt gemacht. Nachdem wir beschlossen hatten, uns in diesem Spiel zu versuchen, stellten wir verbindliche, wenn auch weit auslegbare Regeln auf. James schrieb in der Nacht: »Wir müssen ja keinen verdammten Vertrag ausarbeiten.« Aber wir verständigten uns über Safewords, Grenzen – harte und weiche – und verabredeten uns für den ersten Abend nach seiner Rückkehr bei ihm.
Der Ton unserer Chats hatte sich beruhigenderweise nicht wesentlich verändert. Im täglichen Gespräch hatten Dominanz und Strenge nichts zu suchen. Er war und blieb an meinen Ansichten und meiner beruflichen Kompetenz interessiert. Auch wenn es selbstverständlich sein sollte und dies dann auch war, war ich erleichtert, dass sich trotz des D/S-Reigens, den wir nun irgendwie begonnen hatten, unsere Freundschaft als Ganzes, unsere Beziehung, was immer es auch war, nicht veränderte.
Der einzige Unterschied lag in einer Art Pedanterie-Spiel, das wir begannen, als ich ihn einmal wegen eines Tippfehlers in einer Mail anrief – tja, die Sprachfetischistin eben! Er wies mich dabei auf einen eigenen Rechtschreibfehler hin, der, nur fürs Protokoll, dem Schreibprogramm geschuldet und daher etwas ganz anderes war. Jedenfalls trieben wir das weiter. Immer wenn ich einen Fehler machte oder ihn auf einen Fehler hinwies, der sich später als gar keiner herausstellte, machte er fünf Striche auf einer Liste, die er später abarbeiten wollte, wenn wir wieder zusammen wären … Und jedes Mal, wenn er einen Fehler machte und ich ihn berechtigterweise anmerkte, löschte er fünf Striche.
Unsere Mails und SMS wuchsen sich buchstäblich zu Wortkriegen aus, beide kämpften wir darum, Fehler zu vermeiden, bevor der andere sie anstreichen konnte. Es war kindisch, spaßig und die Art von scherzhaftem Wetteifer, der mir versicherte, dass ich mich gut mit James verstehen könnte. Und dass er mich, wenn ich endlich bei ihm wäre, um das zu beginnen, was wir nun eben begannen, nicht in einen Keller sperren und misshandeln würde. Meistens war er ein freundlicher, charmanter, humorvoller Mann, der den fehlerhaften Gebrauch des Apostrophs fast genauso hasste wie ich.
12. KAPITEL
Er zerrte mich auch tatsächlich nicht in den Keller, als ich ihn nach seiner Rückkehr traf. Im Gegenteil, er ließ mich kaum zur Tür herein. Ich war sehr nervös. Aufgeregt, so aufgeregt angesichts der Frage, in welche Richtung sich alles entwickeln würde, aber auch ein wenig verstört. Ich besuchte meinen Freund – war er denn mein Freund?, fragte eine innere Stimme –, den ich fast eine Woche lang nicht gesehen hatte, gleichzeitig würde ich vermutlich aber auch mit einem neuen Meister intensiven Sex haben. Ich war erregt, aber ein bisschen ängstlich. Nicht vor ihm hatte ich Angst, sondern davor, nicht aushalten zu können, was er für mich in petto hatte. Und dass ich mir dessen bewusst war, machte mich noch unsicherer. Denn er hatte diese Seite an mir erkannt, bevor ich es ihm noch erklären konnte.
Er sah gut aus, als er mir öffnete. Er trug ein weiches weißes Hemd und eine Baumwollhose, wieder war er barfuß. Lächelnd nahm er mich am Arm und zog mich herein, dann drückte er die Haustür mit einem Klicken hinter mir zu.
Ich wollte die Treppe vor ihm hinaufgehen, aber er packte mein Handgelenk, zog mich zurück und umfing mich halb mit dem Arm, als er sich zu meinem Mund herunterbeugte. Wir küssten uns. Ich seufzte in seinen Mund, genoss seinen Geschmack, den Tanz unserer Zungen, die Nähe nach dieser gefühlten langen Zeit, nach so viel Erwartung. Ich sah ihn an und versuchte herauszufinden, ob es sich nun anders anfühlte, nachdem
ich wusste, dass seine Interessen sich so gut mit meinen verbanden.
Noch als ich dachte, es sei alles in Ordnung und nicht zu peinlich, beugte er sich wieder zu mir herunter. Ich
Weitere Kostenlose Bücher