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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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bekriegen, wir sind eine Familie. Nach einer Weile ergreift George das Wort.
    »Also, ich bin baff. Der Beweis dafür, nach all den Jahren! Meine Mutter – wenn sie Sie jetzt hören kann, von wo auch immer, glauben Sie mir, meine Liebe, dann führt sie gerade ein Freudentänzchen auf! Und Sie sind sich da ganz sicher, ja?«
    »Ja, ich bin mir sicher. Die Beweise würden wahrscheinlich vor Gericht oder so nicht standhalten, aber ich bin so sicher, wie ich nur sein kann. Dieses Baby ist aus Amerika mit ihr hierhergekommen, und irgendwo hat Caroline den Kleinen versteckt, als sie Lord Calcott geheiratet hat. Aber dann ist er doch irgendwie im Herrenhaus gelandet, und sie musste ihn loswerden. Das ist der Teil, bei dem ich noch im Dunklen tappe – wo er in der Zwischenzeit war. Und wenn sie schon einmal verheiratet gewesen und ein Kind bekommen hatte, weshalb hätte sie es verstecken sollen? Aber das Ganze kann kein Zufall sein. Das Baby, das verschwunden ist, und das Kind, das im Wald gefunden wurde, müssen ein und dasselbe sein.«
    »Ein Jammer, dass all die Leute, die meine Mutter eine Lügnerin genannt haben, nicht mehr da sind, um sich eines Besseren belehren zu lassen.«
    »Wie hieß Ihre Mutter?«, frage ich spontan.
    »Cassandra. Evans war ihr Mädchenname. Augenblick, ich zeige Ihnen ein Foto.« George geht zur Anrichte, öffnet eine Schublade und kramt darin herum. Das Bild, das er mir reicht, zeigt Cassandra Evans an ihrem Hochzeitstag. Da war sie seit ein paar Stunden Cassandra Hathaway. Eine klei ne, zart wirkende Frau mit einem entschlossenen Funkeln in den Augen und einem freundlichen Gesicht. Glatte Haut, das dunkle Haar zu mehreren Schnecken hochgesteckt und mit einem Kranz aus Blumen geschmückt. Sie trägt ein schlichtes, langes Prinzesskleid mit etwas Spitze am Ober teil und Tüll am Kragen. Dieses Mädchen hat Grandpa Flag gesehen, als er noch Carolines prächtiger Sohn war. Vielleicht wusste sie, was Caroline ihrer Tante B. anvertrauen wollte. Ich starre auf die körnigen, dunklen Flecken ihrer Augen und versuche, dieses Wissen daraus abzulesen.
    Eine Weile später verlasse ich Corner Cottage mit dem Ver sprechen, wiederzukommen. »Eine neue Entente cordiale zwi schen den Calcotts und den Hathaways!«, verkündet George hocherfreut, als ich gehe. Ich bringe es nicht über mich, ihm zu sagen, dass ich vielleicht nie wiederkommen werde. Der Gedanke löst eine unerwartete, seltsame Empfindung in mir aus, nachdem ich über zwanzig Jahre lang sehr zufrieden anderswo gelebt habe. Ich habe das Gefühl, am Rande einer tiefen Traurigkeit zu stehen wie an einem tiefen See, in den ich hineingefallen bin, aus dem ich aber nicht wieder herausklettern kann – genau wie Beth es damals am Teich befürchtet hat. Und doch habe ich im Herrenhaus noch nicht einmal ausgepackt. Meine Sachen liegen immer noch im Koffer. Durcheinander, genau wie ich selbst. Ich bin aus meiner festgelegten Bahn gekullert, und jetzt kreisele ich auf der Stelle und weiß nicht, in welche Richtung ich weiterrollen soll.
    Auf der Rückfahrt zum Herrenhaus denke ich über Blut nach. Über diese winzigen Spuren, die kleinen Neigungen, die alle unsere Vorfahren in uns hinterlassen haben. Mein Hang dazu, in peinlichen Situationen herumzualbern, das Zeichentalent meiner Mutter, Beths Anmut, Dinnys gerade Brauen und seine pechschwarzen Augen. Ein Schneesturm aus einzelnen Spuren, der im Inneren jedes Menschen herumwirbelt. Ich denke an mein Blut und Beths, an Dinnys und Grandpa Flags. Und natürlich an Henrys Blut. Henry, der letzte männliche Spross der Calcott-Linie. Er hat uns einmal Dinnys Blut gezeigt, oben am Grabhügel. Ich glaube, sogar Henry ist darüber ein bisschen erschrocken, nur eine Sekunde lang. Erst kam der Schreck, dann Freude. Jubel. Das war in dem Sommer, als er verschwand, aber ganz zu Anfang der Ferien. Vielleicht haben sie sich da zum ersten Mal in jenem Jahr gesehen, aber das weiß ich nicht mehr genau.
    Ich hatte schon zuvor erlebt, wie Jungen sich prügelten. In der Schule, in der hintersten Ecke des Pausenhofs, wo die Seite der Turnhalle die Kämpfer vor den wachsamen Blicken der Pausenaufsicht verbarg. Die Ecke . So hieß das bei uns. Im Unterricht wurde die Nachricht flüsternd von einem Ohr zum nächsten verbreitet – das nächste Rendezvous, das nächste Duell auf Leben und Tod. Gary und Neil in der Ecke, in der Mittagspause! Der Skandal erregte mich immer wieder, obwohl diese Kämpfe nie lange dauerten. Es wurde

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