Das Geheime Vermächtnis
Spülküche und schärfte die Küchenmesser an einem Schleifrad, das er mit dem Fuß antrieb. Er ließ Funken durch die Luft stieben und erfüllte die Küche mit dem durchdringenden Kreischen von gequältem Metall. Caroline hätte gar nicht nach der Quelle dieses Lärms gesucht, hätte sie nicht Mrs. Priddys schuldbewussten Blick bemerkt – hätte die Frau nicht so abrupt und mit einem Zucken in ihrer Arbeit innegehalten, als ihre Herrin in der Küche erschien. Cass presste sich ängstlich die Finger vor den Mund. Sie alle wussten, was Lady Calcott von den Dinsdales hielt, wenngleich sie nicht wussten, warum. Caroline ging schnurstracks in die Spülküche und unterbrach Dinsdale bei der Arbeit, der mit sanften, bernsteinbraunen Augen zu ihr aufblickte. Langsam erlahmte das Schleifrad. Dinsdale trug derbe Kleidung, und sein Haar war lang und fettig, am Hinterkopf mit einem Stück Schnur zusammengebunden. Sein Gesicht war recht angenehm, so frisch und unschuldig wie das eines kleinen Jungen, doch irgendwie machte es das nur noch schlimmer. Carolines Trauer hatte ihr Herz in Stein verwandelt. Sie wusste, dass sie bestraft wurde, dass das Schicksal sie dieselben Qualen erleiden ließ, die sie Magpie zugefügt hatte, doch ihr Schmerz war so groß, dass sie ihn nicht hinnehmen konnte – sie konnte nicht. Sie kämpfte dagegen an, und flammender Zorn schoss durch ihre Adern.
» Hinaus! «, schrie sie mit vor Wut bebender Stimme. » Hinaus aus diesem Haus!« Dinsdale schoss von seinem Schemel hoch wie ein Springteufel und floh. Caroline nahm sich die Hausdame und das Dienstmädchen vor. »Was hat das zu bedeuten? Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt, was diesen Mann angeht!«
»Mr. Dinsdale hat schon immer unsere Messer geschliffen, Mylady … Ich dachte nicht, dass es etwas schaden könnte«, versuchte Mrs. Priddy zu erklären.
»Das ist mir gleich! Ich will ihn nicht im Haus haben – oder auch nur in der Nähe! Und was ist das?«, fragte sie und wies auf den Korb voll Gemüse. »Stehlen Sie etwa auch noch aus dem Garten?«
Bei diesen Worten schwoll Mrs. Priddy förmlich an und zog die Brauen zusammen. »Ich arbeite seit über dreißig Jahren hier, Mylady, und nicht ein einziges Mal hat man mir so etwas vorgeworfen! Mit dem Überschuss aus dem Küchengarten entlohnen wir schon immer Männer aus dem Ort für ihre Arbeit.«
»Nun, das hat jetzt ein Ende! Jedenfalls bei diesem Mann. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«, fauchte Caroline. Sie kämpfte darum, ihre Stimme ruhig zu halten, die zitterte und schwankte und sich zu einem Kreischen zu erheben drohte.
»Aber sie haben noch mehr Münder satt zu bekommen«, meldete Cass Evans sich zu Wort.
»Still, Kind«, zischte Mrs. Priddy.
»Wie bitte?«, fragte Caroline. Sie starrte das Mädchen mit den grünen Augen in ungläubiger Angst an. » Wie bitte? «, wiederholte sie, doch Cass schüttelte kaum merklich den Kopf und sagte kein Wort mehr.
Nur Lord Calcotts Eingreifen bewahrte Mrs. Priddy nach diesem Fehltritt vor dem Rauswurf. Er verstand nicht, was seine Frau gegen Dinsdale einzuwenden hatte, und er versuchte es auch gar nicht. Er brachte sie lediglich zum Schweigen und reiste dann nach London, um ihrer giftigen Laune zu entkommen. Die Angestellten begannen einen großen Bogen um Caroline zu machen, weil sie ihre unberechenbaren Zornesausbrüche fürchteten, ihre plötzlichen Weinkrämpfe. Eines Nachts stand Caroline sehr spät noch einmal auf und ging hinunter in die Küche, auf der Suche nach etwas Magensalz, das ihren Magen beruhigen könnte. Sie ging sehr leise, ihre weichen Pantoffeln machten kaum ein Geräusch, und vor der Spülküche blieb sie stehen. Sie hörte, wie die Mädchen immer noch das Geschirr vom Abendessen abwuschen und dabei mit dem Stallburschen Davey Hook schwatzten.
»Na, was meinst du, warum sie sonst so einen Hass auf sie hat?« Cass’ dörflicher Akzent war unverkennbar.
»Weil sie was Besseres ist – die sind alle so! Tragen die Nasen da oben«, sagte Davey.
»Ich glaube, sie ist nicht mehr ganz bei Verstand, seit die kleine Evangeline gestorben ist, das arme Würmchen«, meldete Estelle sich zu Wort.
»Ich sag’s euch, ich habe es gehört. Ich kann mich gar nicht getäuscht haben – ich hab’s gehört . Diese Frau, die vom Bahnhof aus zu Fuß hier ankam, hatte etwas unter ihrem Mantel versteckt, und dann habe ich oben im Zimmer der Herrschaft ein Baby weinen gehört – wirklich! Und dann findet auf
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