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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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wie Mrs. Cox den Knoten zu lösen begann, der die Schlinge an ihrer Schulter festhielt. »Hier. Jetzt habe ich Ihnen den Kleinen zurückgebracht. Gesund und munter. All seine Sachen sind in dieser Tasche – alle außer dem Tragebettchen, aus dem ist er herausgewachsen, und ich konnte es auf der Reise hierher nicht auch noch schleppen. Ich … ich hoffe sehr, dass Sie ihn liebhaben werden, Ma’am. Er ist ein guter Junge, und er verdient die Liebe einer Mutter …« Sie setzte William auf das rotseidene Polster eines Ohrensessels. Er streckte die Arme nach ihr aus und lächelte. »Nein, Schätzchen, du bleibst jetzt bei deiner richtigen Mutter«, sagte sie zu ihm, und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. Nun, da sie ihn tatsächlich zurücklassen musste, zögerte Mrs. Cox. Sie blickte von William zu Caroline und wieder zurück, und dann verzerrte sich ihr Gesicht vor seelischer Pein, und sie rang in den Falten ihres Rockes die Hände. »Geben Sie gut auf Ihren Jungen acht, Lady Calcott«, sagte sie und eilte davon. William saß einen Moment lang still da, und sein Blick huschte durch den Raum, von einem fremden Gegenstand zum nächsten. Dann begann er zu weinen.
    Caroline konnte nur noch daran denken, dass sie ihn verstecken musste. Sie hob William hoch und eilte über die Dienstbotentreppe hinauf zu ihrem Schlafzimmer. Sie legte ihn aufs Bett, trat zurück, presste sich die Hände an den Kopf und versuchte, ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen und ihr Herz, das viel zu schnell in ihrer Brust hämmerte. Ihr Atem war ein kurzes, panisches Keuchen. Rasch suchte sie aus der Tasche mit Williams Sachen einen Beißring hervor und gab ihn dem Jungen, um ihn abzulenken. Er hörte zu weinen auf, griff nach dem vertrauten, sacht klimpernden Gegenstand und gab leise Laute von sich, als spräche er mit sich selbst. Allmählich beruhigte sich Caroline. Er war ja so gewachsen! Seine Haut war dunkler, sein Haar kräftiger. Sein Gesicht zeigte Ansätze der hohen, schrägen Wangenknochen und geraden Augenbrauen der Ponca. Wie hatte sie je auf den Gedanken kommen können, dies sei Corins Kind? William war Indianer durch und durch; das wäre offensichtlich gewesen, selbst wenn sie inzwischen nicht erkannt hätte, dass ihr Unvermögen, Corin ein Kind zu schenken, mehr mit Corin denn mit ihr selbst zu tun hatte. Was bedeutete, dass sie Joes und Magpies Baby gestohlen hatte. Die Ungeheuerlichkeit dieses abscheulichen Verbrechens traf Caroline wie eine Streitaxt, und sie sank auf den Boden und schob sich die Faust in den Mund, um das unbeherrschbare Schluchzen zu ersticken, das aus ihrem Bauch in ihre Kehle emporschoss und sie beinahe erstickte. Und sie konnte diese entsetzliche Tat nicht ungeschehen machen. Es gab nichts, was sie Magpie als Wiedergutmachung hätte anbieten können – der lieben, sanften Magpie, die nichts als loyal und freundlich zu ihr gewesen war, die Tausende Meilen entfernt von dem Bett, auf dem er nun lag, ihren Sohn vermisste. Tau sende von Meilen, die weder sie noch William je wieder zurücklegen würden. Dies war eine andere Welt, ein anderes Leben. Sie hatte ihn hierhergebracht und damit eine Grenze überschritten, hinter der es kein Zurück mehr gab. In diesem Augenblick wusste Caroline nicht, wie sie damit leben sollte. Sie saß zusammengesunken auf dem Teppich und wünschte sich den Tod.
    Eine halbe Stunde später sahen die Hausmädchen und die Haushälterin, Mrs. Priddy, Lady Calcott gebeugt über den nassen Rasen laufen. Sie trug etwas Schweres, offenbar in einem Stoffbeutel. Sie riefen ihr nach und überlegten, ob sie sie begleiten und sich vergewissern sollten, dass ihr nichts fehlte, doch falls Lady Calcott sie gehört hatte, machte sie keine Anstalten, stehen zu bleiben. Sie verschwand mit ihrer Last unter den Bäumen am hinteren Ende des Gartens, und als sie blass und erschöpft wieder am Hintereingang erschien, waren ihre Hände leer.
    »Welch ein Tag für einen Spaziergang, Mylady!«, rief Mrs. Priddy aus, während die Mädchen saubere Handtücher brachten und ihr die matschigen Stiefel aufschnürten. In Wirklichkeit war der Tag unter diesen nassen englischen Wolken recht mild und gewiss nicht kalt genug, um ein so heftiges Zittern hervorzurufen wie jenes, das gerade den zarten Körper ihrer neuen Herrin schüttelte. »Wir bringen Sie gleich hinauf in Ihr Zimmer. Cass bringt Ihnen einen heißen Tee, ja, Cass?«, wandte Mrs. Priddy sich an das Zimmermädchen, erst fünfzehn Jahre alt, das

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