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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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konnte. Beschämt straffte sie die Schultern und las die Speisekarte noch einmal.
    Im Restaurant herrschte zur Mittagszeit reger Betrieb, doch ein frisches junges Mädchen in einer sauberen Schürze bediente sie bald und brachte ihr Nudelsuppe, pochierte Eier und Kaffee.
    »Reisen Sie weit, Miss?«, fragte ein Mann. Er saß zwei Plätze weiter am selben Tisch und beugte sich lächelnd zu ihr herüber. Sie errötete, schockiert darüber, so salopp angesprochen zu werden. Der Mann war unrasiert, und seine Ärmelsäume glänzten abgewetzt.
    »Bis Woodward«, sagte sie, unsicher, ob sie sich vorstellen sollte, bevor sie sprach, oder ob sie überhaupt nicht mit ihm sprechen sollte.
    »Woodward? Na, dann dauert es ja jetzt nicht mehr lange, wenn man bedenkt, wie weit sie schon gekommen sind – aus New York, wenn mich Ihr Akzent nicht täuscht?« Er lächelte wieder, breiter diesmal. Caroline nickte hastig und konzentrierte sich auf ihre Eier. »Haben Sie dort Verwandte, die Sie besuchen wollen? In Woodward, meine ich?«
    »Meinen Mann«, antwortete Caroline.
    »Ihren Mann! Welch ein Jammer. Trotzdem, ein Glück, dass sie dieses Haus jetzt eröffnet haben, nicht? Was Fred Harvey vorher hier stehen hatte, war ein aufgebockter Güterwaggon! Haben Sie so etwas im Osten schon einmal gesehen?«, rief er laut aus, und Caroline rang sich ein höfliches Lächeln ab.
    »Ach, lass die junge Frau in Ruhe, Doon. Siehst du nicht, dass sie nur in Frieden essen will?« Das war ein anderer Mann, der neben dem ersten saß. Er hatte einen übellaunigen Ausdruck im Gesicht und tiefe Falten um die Augen. Er hatte sich das ganze Haar zu einer Seite gekämmt, und da blieb es auch, von irgendeiner unsichtbaren Substanz fixiert. Caroline wagte ihn kaum anzusehen. Ihre Wangen brannten.
    »Bitte um Verzeihung, Missus«, nuschelte der erste Mann. Caroline aß mit unziemlicher Hast und kehrte rasch in den Zug zurück, die Hände trotz des warmen Wetters in ihrem Fuchspelz-Muff verborgen.
    Das Land hinter Dodge City war weit und eintönig. Eine Meile sanfter, gleichförmiger Prärie nach der anderen rollte vorbei, während der Zug nun nach Süden der Santa-Fe- Bahnlinie zustrebte. Caroline sank auf ihrem Sitz zusammen und sehnte sich danach, ihr Korsett lockern zu können. Sie war zu müde, um eine damenhafte Haltung zu wahren, und da sie ohnehin allein in ihrem Abteil war, lehnte sie den Kopf ans Fenster und starrte in den endlosen, eierschalfarbenen Himmel hinaus. Der Horizont war noch nie so weit gewesen, so flach, so fern. Diese ungeheure Weite verursachte ein wirres Gefühl in ihrem Inneren, beinahe wie Schwindel. Sie hatte erwartet, schneebedeckte Berge zu sehen, smaragdgrüne Felder, Farmen und muntere Flüsse. Doch die Erde sah heiß und ermattet aus, genau so, wie sie selbst sich fühlte. Zur Ablenkung holte sie ihr Exemplar von Der Virginier aus ihrer Tasche und stellte sich vor, sie sei Molly Wood, die furchtlos alle Bande in die Heimat durchtrennte und mutig in ein neues Leben in einem unbekannten Land aufbrach. Doch nach einer Weile fühlte sie sich gar nicht mehr wie Molly Wood, sondern begann sich wieder zu fürchten. Also dachte sie an ihren Ehemann, der sie in Woodward erwartete, und obwohl der Zug so noch langsamer zu fahren und die unendliche Reise sich noch länger hinzuziehen schien, wirkten diese Gedanken zumindest beruhigend.
    Der Zug traf am späten Nachmittag in Woodward ein, als die Sonne schon orangerot verwischt hinter dem staubigen Fenster unterging. Caroline hatte gedöst, als der Schaffner an ihrem Abteil vorüberging.
    »Woodward! Nächster Halt Woodward!« Sein Ruf weckte sie und ließ ihr Herz rasen. Sie sammelte ihre Sachen ein und stand so abrupt auf, dass ihr schwarz vor Augen wurde und sie sich wieder hinsetzen und tief durchatmen musste. Corin , war ihr einziger Gedanke. Ihn nach so vielen Tagen endlich wiederzusehen! Aufgeregt spähte sie hinaus auf den Bahnhof, als der Zug quietschend hielt, und konnte es kaum erwarten, den ersten Blick auf ihn zu werfen. Sie bemerkte ihr Spiegelbild im Fenster, strich sich hastig das Haar zurecht, biss sich auf die Lippen, damit sie sich röteten, und zwickte ein wenig Farbe in ihre Wangen. Sie konnte nicht ruhig bleiben, konnte nicht verhindern, dass sie zitterte.
    Steif kletterte sie aus dem Wagen. Die Röcke klebten ihr an den Beinen, ihre Füße in den Stiefeln waren geschwollen und heiß. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als ihre Augen den hölzernen Bahnsteig absuchten,

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