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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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doch unter der Handvoll Leute, die ausstiegen oder am Bahnhof warteten, konnte sie Corin nicht entdecken. Der Zug atmete mit einem müden Stöhnen aus und schlich zu einem Nebengleis, wo ein mächtiger Wasserturm vor dem Himmel aufragte. Ein warmer Wind begrüßte sie und säuselte ihr ins Ohr, und die sandigen Holzbohlen knirschten unter ihren Stiefeln. Caroline blickte sich erneut um und fühlte sich plötzlich ganz leer, ohne jeden Halt, als könnte der nächste Windstoß sie davontragen. Sie rückte nervös ihren Hut zurecht und schaute suchend um sich. Woodward wirkte klein und gemächlich. Die Straße, die von den Gleisen in den Ort führte, war breit und unbefestigt, und der Wind hatte die sandige Strecke zu kleinen Wellen geformt. Sie konnte den von der Sonne erhitzten Teer auf dem Dach des Bahnhofsgebäudes riechen und den durchdringenden Gestank von Vieh. Sie schaute nach unten und zog mit der Stiefelspitze einen Strich in den Sand.
    Als die Lokomotive davonfuhr, breitete sich hinter dem Klappern eines Pferdewagens und dem Knirschen des Karrens, an dem sich der Mann mit ihrem Gepäck abmühte, eine neue Stille aus. Wo war Corin? Zweifel und Ängste stiegen in ihr empor – dass er seine Entscheidung, sie zu heiraten, bereute, dass sie allein und verlassen war und mit dem nächsten Zug nach New York würde zurückfahren müssen. Der Gepäckträger war stehen geblieben und versuchte, ihren Blick aufzufangen, zweifellos um sie zu fragen, wohin er ihr Gepäck bringen sollte. Doch ohne Corin war Caroline ratlos. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen, wo sie schlafen, was sie tun sollte. Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich und ihre Gedanken im Kopf durcheinanderwirbelten. Einen entsetzlichen Augenblick lang glaubte sie, sie werde in Ohnmacht fallen oder in Tränen ausbrechen, oder womöglich beides. Sie holte tief und zittrig Atem und überlegte verzweifelt, was sie tun und was sie dem Mann sagen sollte, um ihre Verwirrung zu verbergen.
    »Mrs. Massey?« Caroline erkannte die gedehnt ausgesprochenen Worte zunächst nicht als ihren Namen. Sie ig norierte den Mann mit dem Hut in der Hand, der neben sie getreten war und sich sehr lässig und ein wenig krumm hielt. Er mochte um die dreißig Jahre alt sein, doch vielleicht hatte das Wetter sein Gesicht auch nur ebenso altern lassen, wie es das Blau aus seinem Flanellhemd gebleicht hatte. Sein struppiges Haar war mit roten und braunen Strähnen durchsetzt. »Mrs. Massey?«, fragte er erneut und trat einen weiteren Schritt auf sie zu.
    »Oh! Ja, das bin ich«, rief sie erschrocken aus.
    »Erfreut, Sie kennenzulernen, Mrs. Massey. Ich bin Derek Hutchinson, aber hier nennen mich alle Hutch, und es würde mich freuen, wenn Sie das auch tun«, stellte er sich vor. Er klemmte sich den Hut unter den Arm und streckte die Hand aus, die Caroline vorsichtig ergriff, nur mit den Fingerspitzen.
    »Wo ist Mr. Massey?«, fragte sie.
    »Corin hätte rechtzeitig zurück sein sollen, um Sie abzuholen, Ma’am, und ich weiß, dass er das unbedingt wollte, aber es hat Ärger mit Viehdieben gegeben, und da musste er mit rausreiten und sich darum kümmern … Er wird wieder zu Hause sein, bis wir dort sind, da bin ich ganz sicher«, erklärte Hutch, als er Carolines langes Gesicht sah. Tränen der Enttäuschung verschleierten ihr die Sicht, und sie biss sich auf die Unterlippe, um sie zurückzuhalten. Hutch zögerte, verunsichert von ihrer Reaktion.
    »Ich verstehe.« Sie schluckte, schwankte leicht und hatte auf einmal das dringende Bedürfnis, sich hinzusetzen. Corin war nicht gekommen, um sie abzuholen. Von Enttäuschung überwältigt, begann sie nach Gründen zu suchen, weshalb er sie nicht sehen wollte.
    Hutch räusperte sich schüchtern und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich … äh … ich weiß genau, dass er Sie unbedingt selbst hier empfangen wollte, Mrs. Massey, aber wenn es Viehdiebe zu stellen gilt, ist es die Pflicht eines Grundbesitzers, seinen Nachbarn zu helfen. Ich bin an seiner Stelle hergekommen, und ich stehe Ihnen zu Diensten.«
    »Er ist dazu verpflichtet?«, fragte sie zaghaft.
    »O ja. Zwingend verpflichtet.«
    »Sind Sie also … sein Diener?«, fragte sie.
    Hutch lächelte und senkte den Kopf. »Na ja, nicht direkt, Mrs. Massey. Nicht direkt. Ich bin Vorarbeiter auf der Ranch.«
    »Aha, ich verstehe«, sagte Caroline, obwohl das nicht stimmte. »Schön. Meinen Sie, wir werden rechtzeitig zum Abendessen dort sein?« Sie kämpfte

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