Das Geheimnis der 100 Pforten
bisschen mit dem Pümpel in der Kloschüssel herumgefuhrwerkt hatte, ignorierte er auch, dass das Wasser gefährlich hoch anstieg.
Henry ärgerte sich über Henrietta und über sich selbst. Warum hatte er denn aus lauter Angst kotzen müssen? Und warum war er ohnmächtig geworden? Außerdem war er sauer auf Henrietta, weil sie dumm war. Es war doch offensichtlich, dass diese Tür keine gute Tür war. Aber noch viel mehr ärgerte er sich über sich selbst, weil er sie allein gelassen hatte und durch eine Tür sehen ließ, von der er überzeugt war, dass sie Böses brachte. Das hätte er nicht tun dürfen. Er war doch älter als sie!
Mit einem Mal gurgelte das Wasser in der Toilette und floss ab. Henry sah in die Kloschüssel und wunderte sich, wohin alles verschwunden war. Dann spülte er noch mal. Ohne weiterzuverfolgen, was passierte, stellte er den Pümpel zurück in seine Halterung neben der Toilette und ging nach oben.
Er war ganz damit beschäftigt, im Geist die Worte zusammenzusuchen, mit denen er Henrietta alles erklären wollte, als er eine seiner Türen anfasste. Sie war eiskalt. Schnell riss er sie auf und lief in das dunkle Zimmer hinein. Sein Bett stand in der Mitte des Raumes.
»Henrietta?«, sagte Henry. Die Kälte des Zimmers kroch ihm in die Glieder und er hatte am ganzen Körper Gänsehaut. Sein Magen verknotete sich und gurgelte, und seine Beine wollten wegknicken. Er sprang aufs Bett und tastete nach seiner Lampe. Dabei stieß er sie um, fand aber dennoch den kleinen Schalter und knipste ihn an.
Henrietta lag, mit dem Gesicht nach unten, zwischen dem Bett und der Wand. Ihr linker Arm steckte bis zur Schulter in dem schwarzen Fach.
Ohne auf die Übelkeit in seiner Magengrube zu achten, sprang Henry mit einem Satz auf den Boden. Er fasste Henrietta an den Schultern und versuchte, sie von der Wand wegzuziehen. Es gelang ihm nicht.
Auf allen vieren über Henrietta gebeugt, reckte er sich
hinab und griff in das Fach hinein. Er unterdrückte ein Würgen und tastete mit seiner Hand an der kalten Haut ihres Arms entlang. Dass seine Hand das Fach verlassen hatte, merkte er, als Henriettas Arm sich nicht mehr kalt, sondern eisig anfühlte.
Seine Finger wanderten an ihrem Arm hinunter, bis sie auf eine Hand stießen, die Henriettas Handgelenk fest umklammert hielt. Im Bruchteil einer Sekunde ließ die Hand Henrietta los und packte Henry.
Henry schrie auf. Er wollte aufspringen, doch dabei verdrehte er sich heftig das Handgelenk und hörte deshalb kurz auf zu ziehen. Im selben Moment wurde er an die Wand gerissen und schlug sich dabei den Kopf am Knauf eines anderen Faches an. Laute Worte, die er nicht verstand, quollen aus dem Schlund des Faches hervor, und die Kälte wurde strenger. Henry krümmte sich. Er hielt die Luft an und biss die Zähne zusammen, während an seinem Arm gezerrt wurde und er seinerseits ebenfalls zog. Sogar während er kämpfte, merkte er, wie Übelkeit in ihm aufstieg. Er fühlte die Finger an seinem Handgelenk abrutschen und ein Stück weiter oben schnell wieder zugreifen, um seinen Unterarm und den Ärmel seines T-Shirts. Er stemmte beide Knie gegen die Wand und zog mit aller Kraft nach hinten. Sein Ärmel, eisern umklammert, rutschte bis zu seinem Handgelenk hinab.
Henry dachte nicht darüber nach, was er tat. Er kannte den Trick von früher, vom Spielplatz. Damals hatte er es aber nur zum Spaß gemacht. Er zog seine Hand durch seinen Ärmel nach innen. Die fremde Hand griff und schnappte. Aber Henry schlüpfte nun schnell aus seinem Shirt heraus. Als er seinen Arm unter dem Shirt an seinen Oberkörper herangezogen hatte, senkte er den Kopf und zog es aus. Das Shirt verschwand im Inneren des Fachs und er fiel nach hinten auf den Boden. Doch bevor er nun auch Henriettas Hand von der Tür wegziehen konnte, rutschte ihr Körper bereits wieder näher an die Wand heran. Henry drehte sich um, lehnte sich über sein Bett und schnappte sich sein Klappmesser vom Nachttisch.
Als er sich nun wieder neben Henrietta auf den Boden hockte, fasste er ihre Schulter mit der rechten Hand, während seine linke, den Daumen fest an der geöffneten Klinge, ihren Arm hinabtastete. Als er glaubte, das hintere Ende des Faches so gut wie erreicht zu haben, hielt er inne und atmete tief ein. Dann stach er aus Leibeskräften zu. Das Messer traf auf etwas, das knochenhart war, glitt aber ab und klappte über Henrys eigenen Fingern zusammen. Auf der anderen Seite des Fachs schrie etwas auf. Henry
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