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Das Geheimnis der 100 Pforten

Das Geheimnis der 100 Pforten

Titel: Das Geheimnis der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N D Wilson Dorothee Haentjes
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Pforte, und dazu im Zimmer ihres Großvaters! Und ein alter Mann. Ihre Aussicht auf Antworten war leider gerade davongekrochen. Henrietta ging in die Knie und tastete sich in die Dunkelheit voran. Genau in dem Moment, als ihre Füße verschwanden, stolzierte Blake ins Zimmer. Im Gegensatz zu Henrietta kannte er die Gefahren, auf die er sich einließ. Auch wenn sein Katzenhirn ihm nicht gerade zuriet. Er schoss mit einer Geschwindigkeit (die man bisher nur bei einem der ortsansässigen Koyoten gesehen hatte und die Dotty bei ihm für schlicht unmöglich hielt) in das Fach hinein. Zunächst konnte er Henriettas Füße noch sehen - doch mit einem Mal waren sie weg. Die hölzerne Rückwand des Fachs schien an ihrem Platz zu sein, dann verschwand sie wieder. Blake lief weiter im Dunkeln und spürte, wie der Boden anstieg. Schließlich trat er hinaus, in hohes Gras und Sonnenschein. Er musste sich
nicht groß umsehen, um zu wissen, dass Henrietta woanders war. Also drehte er um und versuchte, sich wieder in den Spalt im Baum zu quetschen, um zurück in das Fach zu gelangen.
    Aber der Weg hatte sich hinter ihm geschlossen.
    Blake war ein kluger Kater und er vertrödelte keine Zeit mit Nachdenken. Er wusste gar nicht, wie das ging. Stattdessen lief er zur Felsplatte, sprang hinauf und streckte sich im Sonnenlicht aus.
     
    Henrietta erstarrte. Die Musik von Geigen, Cellos und einem seltsam klingenden Klavier - als wenn seine Saiten eher gezupft als angeschlagen würden - drang durch die Wände, die sie umgaben, und erfüllte den kleinen, dunklen Ort, an dem sie kauerte. Dazu Stimmen. Lachende Stimmen.
    Sie befand sich noch immer in einem Fach. Ein Fach, das breiter und tiefer war als das von Großvater. Sie nieste. Ein Fach voller Staub und Spinnenweben und, sofern sie ihren Händen trauen konnte, jeder Menge trockener Mäusehinterlassenschaften. Sie ging in die Hocke, krümmte ihren Rücken unter der niedrigen Decke und tastete nach einer Tür. Die fand sie auch, einen guten halben Meter von ihr entfernt.
    Henrietta hatte sie nur einen Spalt weit öffnen wollen. Aber die Tür schwang ohne Widerstand auf, sobald sie
sie berührte, und sie musste vor all dem Licht und den Geräuschen die Augen zusammenkneifen.
    Sie sah in einen riesigen Tanzsaal mit einer von schwarzen Balken getragenen Decke, die sich in mehr als zehn Metern Höhe über einem glänzenden Parkett wölbte. Zwischen glatten Säulen und strahlenden Wandbildern ragten riesige Glasfenster fast bis an die Decke. Am einen Ende des Saales spielte ein kleines Orchester auf einer Empore und über den Boden wirbelten Tanzpaare. Lange Kleider in allen nur erdenklichen Farben umhüllten wunderschöne Frauen, die nicht größer waren als Henrietta. Das Haar der Frauen war hochgesteckt und von glänzenden Perlenschnüren durchzogen. Die Männer trugen ihr Haar, das bei den meisten tiefschwarz war, zurückgekämmt und im Nacken zu einem Zopf gewunden. Sie trugen Hosen mit weiten Beinen, die bis zu den Knöcheln reichten, und kurze Mäntel, die an den Ellbogen endeten und gefältelt waren.
    Henrietta vergaß den kleinen Mann. Sie vergaß Kansas. Sie saß da, unfähig, sich zu bewegen, mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen. Sie beobachtete, wie die älteren Männer und Frauen an den Wänden entlangspazierten und aßen und lachten. Sie beobachtete die Musiker. Und sie sah bewundernd zur Decke und auf den Boden, betrachtete die Säulen und Fenster und die Wandgemälde.

    Dies war das Schönste, was sie je gesehen hatte.
    Als ihre Augen erneut über die Tänzer wanderten, blieben sie an einer Gestalt hängen; einer Gestalt, die sie wiedererkannte. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Er war kahlköpfig und trug eine Wolljacke mit großen Flicken an den Ellbogen. Er bewegte sich vorsichtig auf nur einem Schuh zwischen den Tänzern hindurch, achtete auf seine Füße und setzte einen nach dem anderen vorsichtig auf, bevor er sein Gewicht darauf verlagerte. Keiner der Tänzer schien irgendwie Notiz von ihm zu nehmen.
    Henrietta rutschte ein wenig nach vorn und streckte ihren Kopf aus der kleinen Tür, um zu sehen, ob jemand in ihrer Nähe war. Dabei verblich alle Farbe und die Musik erstarb. Die Leute verschwanden. Nur eine Gestalt blieb zurück. Der merkwürdige alte Mann in der Wolljacke, der sich vorsichtig seinen Weg über den von Löchern und morschen Stellen übersäten Boden suchte.
    Henrietta quetschte sich durch die Tür. Sie rutschte über ein schmales Sims und

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