Das Geheimnis der Äbtissin
Heinrich wird …«
Er bückte sich und griff in die kalte Asche. Den Ruß verrieb er in seinen Händen und strich ihr sacht über Nase und Wangen. »Nichts wird er. Keine Sorge, niemand wird dich erkennen.«
Er schnalzte mit der Zunge, und das Maultier spitzte die Ohren. »Und jetzt komm, Frau, Zeit ist Geld! Die Leute warten auf unsere Spezereien.«
Ich wil truren varen lan;
vf die heide sul wir gan,
vil liebe gespilen min!
da seh wir der blumen schin.
Ich sage dir, ich sage dir,
min geselle, chum mit mir!
Ich will das Trauern dahinfahren lassen;
zum Brachfeld sollen wir eilen,
meine lieben Spielgefährtinnen,
da sehen wir den Glanz der Blumen an.
Ich sage dir, ich sage dir,
mein Gefährte, komm mit mir.
Carmina Burana 180 a
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Lare, März anno 1191
S wen, das ist eines der besten Schlachtrösser, das wir je hatten. Sieh zu, dass es wieder auf die Beine kommt.« Graf Ludwig kratzte sich besorgt am Kinnbart.
»Ich versuche es mit den Weidenzweigen, Herr. Haben immer geholfen.« Der Alte humpelte zur Futterkammer.
Der Graf bückte sich schwerfällig und strich dem Hengst, der teilnahmslos im Stroh lag, über die Nüstern. »Mach mir keinen Kummer, hörst du?«
Vom Palas her vernahm er die Stimme seiner Tochter Adelheid. Er lächelte und trat vor das Stalltor. Die junge Frau kam über den Hof, sein Enkelkind auf dem Arm. »Wie geht es Euch heute, Vater?«
»Jedenfalls besser als dem Gaul. Wir können froh sein, dass Beringar nicht auf ihm nach Italien geritten ist. Er hätte wenig Freude an ihm gehabt.«
Der Säugling begann zu quengeln, und Adelheid schaukelte ihn beruhigend im Arm.
»Herr?« Ein älterer Bauer betrat den Hof durch das Torhaus und eilte auf ihn zu. »Ich habe etwas, das ich Euch geben soll.«
Ludwig runzelte die Stirn und blickte auf ein Stoffsäckchen, das der Mann ihm vor die Nase hielt. »Von wem hast du das?«
»Eine Reisende gab es mir, eine Kräuterfrau. Sie kam auf der Heeresstraße mit einem Bader daher.« Der Alte hob die Schultern. »Sie sagte nur: Bring das dem Burgherrn von Lare. Sie gab mir einen Pfennig Botenlohn, dann zogen sie weiter in Richtung Sonnenaufgang.«
»Gut. Lass dir in der Küche ein Bier geben. Nein, warte!« Graf Ludwig vertrat ihm den Weg. »Dieser Bader, wie sah er aus?«
Der Bauer wiegte bedächtig den Kopf. »Dunkel, alles an ihm war irgendwie finster. Wie bei einem Sarazenen. Ich glaube, er trug auch so ein Tuch um den Kopf gewunden.«
Ludwig nickte grimmig. Der Mann trollte sich eilig.
Adelheid sah ihrem Vater neugierig zu, während er das Band aufzog, das das Säckchen oben zusammenhielt. Er kippte den Inhalt auf seine schwielige Hand. Eine silberne Kette ringelte sich über einem fein gearbeiteten Kreuz mit einem kleinen roten Stein.
»Was für ein schöner Schmuck!«, rief Adelheid erstaunt aus.
»Er gehört deiner Tante Judith!« Graf Ludwig sah sich suchend um, als müsste die Besitzerin des Kleinods jeden Moment aus der Erde wachsen. »Sie bekam die Kette vom Kaiser Friedrich geschenkt, als sie selbst noch ein Kind war. Sie hat sich nie von ihr getrennt.«
»Sieh nur, da ist ein kleines Stück Pergament.« Adelheid zupfte mit einer Hand an dem Stoff. »Für Judith von Lare, die Jüngere«, las sie zögernd. Ihr Blick wanderte verständnislos von dem Schmuckstück zu dem Säugling auf ihrem Arm. »Aber woher …?«
Doch ihr Vater hörte sie nicht mehr. Er eilte zum Bergfried und erklomm schnaufend die Treppen, die Kette so fest in der Hand, dass sich das Kreuz in seine Handfläche bohrte. Der Wachhabende auf dem Turm erkannte erstaunt den Burgherrn, der, ohne ihn zu beachten, zur Ostseite rannte und mit zusammengekniffenen Augen die Straße in Richtung Mönkelare musterte. Ratlos folgte der Wachhabende dem Blick, doch außer dem hochbeladenen Wagen eines Korbhändlers, der schwankend auf Lare zukam, konnte er nichts Besonderes entdecken.
Graf Ludwig sah sich nach ihm um. »Hast du eine Frau gesehen, unterwegs nach Sonnenaufgang?«
»Eine Frau? Nein!« Sein Gesicht hellte sich auf. »Oder meint Ihr das Händlerpaar mit dem Maultier?«
»Ja.«
»Sie verschwanden vor geraumer Zeit im Wald. Dort hinten, beim alten Steinbruch.«
Irgendwie schien es keine gute Antwort zu sein, denn der Burgherr nickte nur mit verkniffenen Lippen. Der Wachhabende zog sich auf die andere Seite des Turms zurück.
Graf Ludwig jedoch starrte weiter auf die Stelle, wo der Weg nach Osten vom Wald verschluckt wurde, als
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