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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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auf. »Das hier wird lange dauern. Ihr könntet in der Zeit den Oberschenkel nähen.«
    Erst jetzt sah sie den schmalen, aber tiefen Kratzer, der fast bis zum Knie des Jungen hinunterreichte und sicher von einer Wolfskralle stammte. »Wie ist das denn …« Sie verstummte plötzlich, als ihr klarwurde, was er gesagt hatte. Er traute ihr eine selbständige Naht zu.
    »Säubert sein Bein gründlich.« Er deutete auf das Wasser. »Dann schließt die Wunde.«
    Ihre Hände zitterten leicht, in ihrem Magen bildete sich ein fester Klumpen, doch sie beherrschte sich. Sie durfte nichts falsch machen. Tief atmend wischte sie die Schlieren trockenen Blutes von der Haut und betupfte vorsichtig die Wundränder. Sie fädelte einen Faden in eine Bronzenadel, die sie zuvor in das dampfende Wasser gehalten hatte. Dann starrte sie auf das rohe Fleisch unter der aufgerissenen Haut. Ihre Arme hingen in der Luft wie die knorrigen Äste der Linde am Burgtor.
    »Stellt Euch vor, es ist ein Stück Schweinehaut«, hörte sie Silas’ ruhige Stimme.
    An Schweinehaut hatte sie oft geübt. Sie atmete geräuschvoll ein und stach zaghaft zu, dicht neben dem geraden Riss. Heraustretendes Blut nahm ihr die Sicht. Das war anders als in den Übungsstunden. Ständig musste sie tupfen und wischen. Aus dem Augenwinkel sah sie Gerlind in der Tür stehen.
    »Bring noch einmal frische Tücher!«, rief sie ihr halblaut zu. Tief beugte sie sich über ihre Arbeit, die allmählich besser ging. Konzentriert setzte sie Stich für Stich, kreuzte die Fäden, wie sie es mit Silas geübt hatte. Sie staunte selbst, wie einfach es war. Hatte sie nicht vor wenigen Wochen noch verzweifelt vor einem Stück Stoff gesessen, mit einem chaotischen Gewirr roten Garns in den Fingern? Die Zungenspitze fest zwischen den Zähnen, verknotete sie die Enden des störrischen glatten Fadens. Silas hatte ihr erklärt, dass er ihn aus der dünnen Darmhaut von Schafen herstellte.
    Er warf einen kurzen Blick auf die fertige Naht und nickte anerkennend. »In meiner Kiste findet Ihr eine Kräuterpackung. Legt sie darauf.« Gerlind kam mit Tüchern und half ihr, den Verband anzulegen.
    Währenddessen kämpfte Silas um den Arm des Jungen. Die Wundränder waren gezackt wie das Blatt eines Ahorns. Immer wieder musste er das krumme Messer benutzen. Am Ende sah die Wunde aus wie der nachlässig geflickte Ärmel eines Bettlerhemdes.
    »Jetzt noch die Kräuter«, murmelte er unzufrieden. »Mehr kann ich nicht tun. Nun hilft nur beten.«
     
    Für den nächsten Tag setzte der Graf eine Jagd auf den Wolf an. Ein Menschenräuber musste zur Strecke gebracht werden, bevor es weitere Opfer gab. Ludwig bat während des Abendessens, an der Jagd teilnehmen zu dürfen.
    Sein Vater überlegte kurz und sah dann Silas fragend an. »Was meinst du? Wird er reiten können?«
    »Ich denke schon. Der Knochen ist gut zusammengewachsen.« Lächelnd fing er Ludwigs dankbaren Blick auf.
    »Ich werde auch mitjagen«, sagte Beatrix in die kurze Stille hinein.
    »Ich ebenfalls«, erklärte Isabella hastig.
    »Moment!« Graf Ludwig hob die Hand. »Ich glaube nicht, dass der Kaiser das gutheißen würde. Ich bin für Euch verantwortlich. Eine solche Jagd kann sehr …«
    »Ich bin in den Wäldern von Burgund oft zur Jagd geritten«, fiel ihm Beatrix ins Wort. »Ich bin eine ausgezeichnete Bogenschützin und kann mit einer leichten Lanze umgehen.«
    »Wie gut
ich
mit dem Bogen bin, wisst Ihr, Graf!«, warf Isabella ein.
    Er schüttelte den Kopf. »Es handelt sich hier nicht um eine gewöhnliche Jagd. Das kann ich unmöglich gestatten.«
    »Das müsst Ihr nicht. Ich werde auf eigene Verantwortung mitreiten. Das könnt Ihr mir nicht verbieten.« Beatrix reckte angriffslustig ihr Kinn in die Höhe.
    Judith stieß ihrem Bruder den Ellbogen in die Seite und kicherte leise. »Da hast du was angerichtet!«
    Er grinste und fragte: »Willst du auch mitjagen?«
    »Warum nicht? Die Lanze beherrsche ich zwar nicht, aber mit dem Bogen kann ich umgehen.«
    Im Gegensatz zu Isabella hatte sie kaum Interesse am Unterricht im Lanzenwerfen gezeigt. Doch beim Bogenschießen waren die Freundinnen beinahe gleichwertige Rivalinnen. Judith traf gut, wenn sie sich beim Zielen konzentrieren konnte, Isabella dagegen schoss im Vorbeireiten einen Apfel vom Pfosten der Pferdekoppel und holte jede aufgescheuchte Taube vom Himmel.
    »Ich werde mich mit Frau Margot beraten, Prinzessin«, entschied Graf Ludwig und hob die Tafel auf.
     
    Bei Tagesanbruch

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