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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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war ein sehr großes Tier, selbst in seiner an den Boden gedrückten Haltung war das nicht zu übersehen. Sein Fell war grau, fast so hell wie die Rinde des Baums. Es wirkte räudig und war an einigen Stellen bereits ausgefallen. Aus seiner Kehle kam ein dumpfes Grollen, was Beatrix umso hastiger an ihrem Messergriff zerren ließ.
    »Warum schießt sie nicht?«, murmelte Judith, doch im selben Moment sah sie den Köcher mit den Pfeilen ein paar Schritte vor Beatrix im Laub liegen. Sie hatte ihn offenbar fallen lassen. Und wenn sie sich danach bückte, würde der Wolf springen.
    In wenigen Augenblicken hatten Ludwig und Isabella mit oft geübten Griffen beinahe gleichzeitig ihre Bögen gespannt und Pfeile eingelegt, wobei Isabellas einen Wimpernschlag früher aus der Spannvorrichtung schnellte. Beide flogen dicht aufeinander in Richtung Ziel. Sie hätten tödlich getroffen, wenn Beatrix nicht im selben Moment ihr Messer aus dem Gürtel gerissen hätte. Durch die heftige Bewegung provoziert, sprang das gereizte Tier los, und Isabellas Pfeil traf ihn nur noch in den Hinterlauf. Ludwigs Geschoss streifte den räudigen Schwanz und schlug im Buchenstamm ein. Der Wolf jaulte auf und drehte sich im Sprung zur Seite weg, wodurch er Beatrix knapp verfehlte, die rücklings in die Kronenäste stürzte. Das Messer flog über sie hinweg und verschwand zwischen den welken Blättern. Ludwig packte seine Lanze und lief los. Isabella legte einen neuen Pfeil ein und zielte. Doch wohin? Das getroffene Tier wirbelte laut jaulend und knurrend im Kreis, und Ludwig verdeckte ihr teilweise die Sicht.
    »Geh beiseite!«, schrie sie und schwenkte den Bogen hin und her wie ein Bauer seine Sense.
    Endlich erwachte auch Judith aus ihrer Erstarrung. Ohne weiteres Nachdenken kletterte sie auf den Baumstamm, formte mit den Händen einen Trichter vor ihrem Mund und schrie um Hilfe. Als die ersten Jäger auf der Lichtung eintrafen, bot sich ihnen ein erstaunliches Bild. Ludwigs Lanze steckte im Brustkorb des Wolfs, der mit blutigem Schaum vorm Maul nur noch schwach röchelte. Der Junge hielt die Waffe fest umklammert, als wollte er das Tier am Aufstehen hindern. Er atmete heftig, und auf seinem hochroten Gesicht lag ungläubiges Staunen. Isabella stand neben ihm und begutachtete die Schusswunde in dem räudigen grauen Fell. Judith hockte auf dem Baumstamm, und Beatrix klaubte mit gesenktem Kopf ihre Pfeile aus dem feuchten Laub am Waldboden.
    »Fasst ihn nicht an!«, rief ein Jäger. »Tretet zurück!«
    Isabella, die gerade ihren Pfeil aus dem Hinterlauf ziehen wollte, zögerte.
    Der Jäger lief zu Ludwig und zog ihn von dem sterbenden Tier weg. »Ihr habt ihn ganz allein erlegt!« In seiner Stimme lag ehrliche Bewunderung.
    Ludwig war noch immer benommen und stolperte zum Buchenstamm hinüber.
    In diesem Moment trafen der Jagdmeister und sein Gehilfe mit dem Windspiel ein. Besonders die beiden großen Wolfshunde gebärdeten sich wie toll.
    »Haltet sie zurück!«, rief der Jäger. »Der Wolf hat Schaum vorm Maul!«
    Nicht einmal die Peitsche konnte die Tiere zur Ruhe bringen. Der Gehilfe zerrte sie fort.
    »Was ist passiert?«, fragte der Jagdmeister.
    Isabella berichtete, und der Mann nickte. »Das ist gerade noch gutgegangen. Unsere Hunde hatten seine Spur verloren. Er muss in einem weiten Bogen zurückgelaufen sein. Hier im Niederwald wollte er sich verkriechen.«
    Ludwig und Isabella wurden auf dem Rückweg bereits als Helden gefeiert. Beim Essen am Abend erhielten sie die versprochene Belohnung, einen Beutel mit Silbermünzen. Der Graf nahm Margot beiseite und rügte sie streng, weil sie Beatrix als erfahrene Jägerin beschrieben hatte. Nur Judith hörte, wie der Graf zu ihr sagte, sie hätten sehr viel Glück gehabt und das alles sollte ihr eine Lehre sein. Und nur sie sah die Blicke, mit denen die in ihrem Stolz verletzte Beatrix die beiden erfolgreichen Jäger bedachte. Und sie ahnte, dass die Kluft zwischen Isabella und Beatrix jetzt nur noch größer sein würde. Die Prinzessin hatte ihr Gesicht verloren. Das würde sie nie verzeihen.
     
    »Vergesst nichts von dem, was Ihr gelernt habt«, mahnte Silas. Nawar tänzelte nervös neben seinem Reiter. Sein Herr klopfte ihm den Hals und griff dann in eine der zahlreichen Satteltaschen.
    »Dies ist mein Geschenk an Euch.« Er reichte Judith eine armdicke Rolle von der Länge einer Elle, die erstaunlich leicht auf ihrer Hand lag. »Es soll Euch ein zweites Gedächtnis werden.«
    Sie schluckte

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