Das Geheimnis der Äbtissin
Wichtigtuerin.«
»Ich bin froh, dass du bei uns bist. Ein wenig mulmig ist mir schon«, versuchte Judith zu trösten.
Am Waldrand erwartete sie der Jagdmeister mit seinem Hund. »Wir haben seine Fährte gefunden!«, verkündete er und klopfte dem Tier anerkennend den Hals. »Er hält sich noch immer im Hutewald auf. Das ist gut so, denn dort ist es licht und übersichtlich. Wir können sogar die Pferde mitnehmen. Doch gebt acht, die Pferde werden scheuen, sobald sie den Wolf wittern.«
Graf Ludwig versprach demjenigen, der den Wolf zur Strecke bringen würde, eine handfeste Belohnung. Auf sein Zeichen hin wurde das Horn dreimal geblasen. Jetzt waren die Hunde nicht mehr zu halten. Der Jagdgehilfe brachte das Windspiel auf die Fährte und koppelte die Leinen los. Mit lautem »Ra, ra, ra, taho, taho!« trieb er die Meute an, die kläffend im Wald verschwand. Die beiden Wolfshunde blieben hechelnd angebunden. Sie kamen erst zum Einsatz, wenn die Beute gestellt war.
Jetzt hieß es, den Tieren zu folgen und sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sie durchquerten den Hutewald bis an sein Ende. Im Niederwald wurde das Stockholz immer dichter, und schließlich mussten sie doch die Pferde in der Obhut etlicher Knechte zurücklassen.
Ludwig hielt sich nah bei den Mädchen. Er fühlte sich für ihre Sicherheit verantwortlich. Sein Bein schmerzte ihn mehr, als er zugeben wollte. Mit zusammengebissenen Zähnen kletterte er über morsche Baumstämme und schob sich durch dicht wachsende Schösslinge, die bald wertvolles Brennholz abgeben würden. Ständig verkeilte sich der Bogen über seiner Schulter zwischen den biegsamen Ästen. Weit vorn wies ihnen das Hundegekläff die Richtung.
»Schneller!«, drängte Isabella. »Wir verpassen das Beste.«
Judith trat auf eine moosbedeckte Wurzel und glitt aus. Hart schlug sie mit dem Knie auf und stöhnte. »Mist!«
»Was ist? Bist du verletzt?« Ludwig beugte sich zu ihr hinab.
»Nein, ich glaube nicht.« Sie stand auf und begutachtete ihr Knie. Der grüne Leinenkittel hatte einen Riss, doch das Bein war heil. »Alles in Ordnung. Tut nur höllisch weh.«
Isabella atmete hörbar auf. »Na dann los!«
Ludwig sah sich um. »Wo ist Beatrix?«
Isabella deutete auf abgeknickte Zweige im Unterholz. »Ist anscheinend einfach weitergegangen. Kommt, sehr weit kann sie noch nicht sein.«
Sie folgten der Spur aufgewühlten Laubes und geknickter Halme, die direkt auf das Gekläff der Hunde zuführte. Ab und zu ertönte ein Ruf eines anderen Jägers durch das Dickicht. Dann hörten sie das Jagdhorn. Zweimal klang es durch die dicken Buchenstämme, ein fernes Echo ließ die Töne abgeschwächt nachklingen.
»Was bedeutet das?«, fragte Judith.
»Sie rufen die Meute zurück«, erklärte Ludwig keuchend und blieb vornübergebeugt stehen.
»Aber warum?«
Isabella sah sich finster um. »Sie haben den Wolf, und wir sind tatsächlich umsonst hier im Wald herumgekrochen.«
»Wenn die Hunde ihn gestellt hätten, dann hätten wir das gehört. Sie wären lauter und hektischer geworden. Außerdem haben die Wolfshunde keinen Ton von sich gegeben.« Ludwig richtete sich auf.
»Was denkst du?«, fragte Isabella.
»Ganz einfach, die Meute hat die Witterung des Wolfs verloren.«
Bevor sie darüber nachdenken konnten, was das bedeutete, hörten sie einen gedämpften Schrei. Ohne Überlegung stürmten sie vorwärts, den Spuren folgend, die Beatrix hinterlassen hatte.
Nur wenige Klafter weiter stießen sie auf eine kleine Lichtung, die ein kürzlich gefallener Buchenriese geschaffen hatte. Eine mächtige Wurzelscheibe voller Erde und Steine ragte in den Himmel. Der dicke graue Stamm hatte eine Schneise ins Unterholz geschlagen, wo seine altersschwache Krone mit herabgedrückten Jungbuchen und Weißdornbüschen verschmolz.
Judith entdeckte Beatrix zuerst. In ihrer grünen Kleidung war sie vor dem chaotischen Astgewirr nur schwer zu erkennen. »Seht dort!«, flüsterte sie und zeigte mit ausgestrecktem Finger nach vorn.
»Was …?« Isabella brach ab, als sie ihre Frage selbst beantworten konnte, und nahm ihren Bogen von der Schulter.
Ludwig sog scharf die Luft ein und tat es ihr gleich. Vergessen war sein schmerzendes Bein.
Beatrix stand mit dem Rücken zur undurchdringlichen Baumkrone und hielt ihren Bogen in der rechten Hand, die linke tastete nach dem Messer in ihrem Gürtel. Nur etwa vier bis fünf Schritte entfernt, direkt vor dem grauen Stamm der Buche, duckte sich der Wolf zum Sprung.
Es
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