Das Geheimnis der Äbtissin
morgenländischen Fürsten. So geraten sie zwischen den vielen Schönheiten nicht in Versuchung.«
»Dann brauchen sie aber auch kein Hopfenmehl«, erwiderte sie und betrachtete ihn scheu von der Seite.
Silas stutzte und begann dann zu lachen. »Die Herrin Sigena hatte recht, Ihr werdet einmal eine gute Heilerin sein.« Er sah nach der Sonne. Sie hatte bei ihrem Abstieg die Baumwipfel über dem Reinhardtsberg bereits erreicht. »Eine letzte Frage noch. Wie behandelt Ihr eine in der Wunde steckende Pfeilspitze?«
Judith schloss die Augen und ging in Gedanken ihre frisch erworbenen Kenntnisse durch. »Blauer Dictam in Essig? Und Bohnenblüten.«
»Ist das alles?«
»Nun ja – Theriak vielleicht?«
Silas schüttelte den Kopf. »Diesem Theriak wird zu viel zugetraut. Denkt nach! Woraus besteht diese Arznei?«
»Anis, Kümmel, Fenchel, manchmal auch Schlafmohn.«
»Seht Ihr. Alles keine wundheilenden Stoffe. Wenn Euer verletzter Krieger nicht zufällig an hartnäckigem Husten leidet, nützt ihm Theriak nichts.« Er stand auf. »Genug für heute. Morgen werdet Ihr mir helfen, die Fäden aus Ludwigs Wunde zu ziehen. Jetzt muss ich nach Nawar sehen, bevor es dunkel wird.«
Am nächsten Morgen setzte sich Bischof Konrad dicht neben Beatrix auf die Bank. Judith sah Isabella fragend an, doch die hob nur leicht die Schultern.
»Ich möchte mit Euch über Politik reden«, begann er. »Gestern Abend brachte ein Bote Nachricht von den Ergebnissen des Regensburger Reichstages. Was habt Ihr darüber gehört?«
Während der hitzigen Diskussion beim Nachtmahl waren tatsächlich eine Menge Neuigkeiten erörtert worden.
»Der Oheim des Kaisers muss Baiern abgeben. Das erhält Heinrich der Löwe, des Kaisers Vetter«, antwortete Ludwig als Erster. Er hatte Spaß an politischen Streitgesprächen und war hocherfreut, dass ein so spannendes Thema aufgegriffen wurde.
»Oheim Jasomirgott bekommt dafür Österreich«, ergänzte Isabella.
Der Bischof nickte knapp und musterte Beatrix wohlwollend. »Und Ihr, Prinzessin, was habt Ihr aufgeschnappt?«
Sie warf ihre blonden Zöpfe zurück und schnaubte verächtlich. »Viel Geschwätz um diesen Privilegus minus. Es ist, als ob Kinder sich um eine Murmel streiten würden. Warum bestimmt Friedrich nicht einfach, wer über welches Gebiet herrscht? Er ist der Kaiser!«
Obwohl diese Antwort nicht in seinem Sinne sein konnte, nickte Konrad und tätschelte ihre Hand. »Da haben wir unser Stichwort – Privilegus minus. Ein wichtiges Dokument, über das Ihr Bescheid wissen solltet. Damit dürfte der Streit zwischen dem Herzog von Sachsen und dem Herzog von Österreich ein für alle Mal beigelegt sein. Ein entscheidender Beitrag zum Frieden im Reich.« Er strich sich sein langes Haar hinter die Ohren.
Judith überlegte, wie alt der Bischof wohl sein mochte. Auf jeden Fall sah er viel jünger aus als der Kaiser. Sie bemerkte, dass Beatrix’ Blick wie gebannt an seinen Lippen hing.
»Ich verstehe nicht, warum Oheim Jasomirgott ein solch großes Gebiet wie Baiern einfach aufgibt. Österreich gehörte ihm vorher schon. Er zieht deutlich den Kürzeren«, meinte Isabella.
»Mein Vater sagt, dass Österreich im Gegenzug zum Herzogtum erhoben wird und Jasomirgott wesentlich mehr Rechte und Freiheiten hat als zuvor«, erwiderte Judith, nachdem es eine Weile still gewesen war.
Der Bischof nickte. »Gut aufgepasst! Jasomirgott darf sein Herzogtum zum Beispiel vererben, sogar, wenn er ohne Kinder sterben sollte. Versteht ihr, was das bedeutet?«
Ludwig hob den Kopf. »Das heißt, Österreich ist nicht sein Lehen, sondern sein Besitztum?«
»Richtig. Er kann frei darüber verfügen, es gehört ihm.«
Beatrix hob die Hände. »Aber damit schmälert Friedrich doch seine Macht! Sein Reich wird kleiner!«
»Das stimmt, doch es war wohl notwendig. Wie sonst konnte er seinen Oheim davon überzeugen, Baiern abzugeben? Ein guter Herrscher muss immer auch Kompromisse eingehen. Das ist es, was ihr hieraus lernen solltet.«
»Aber er ist der Kaiser!«, wiederholte Beatrix ihr Lieblingsargument. »Warum bestimmt er nicht einfach, was getan werden soll?«
»Genau, er ist der Kaiser.« Konrad griff nach ihrer Hand und sah sie ernst an. »Und seine wichtigste Aufgabe ist es, den Frieden zu bewahren.«
»Aber …« In ihren Augen loderte Widerstand auf, bevor sie rot anlief und verwirrt auf seine Finger starrte, die vertraulich ihre Hand umschlossen.
Isabella warf Judith einen schnellen Blick
Weitere Kostenlose Bücher