Das Geheimnis der Äbtissin
Fundamente müssen verstärkt werden. Ich brauche die Tagelöhner in Mönkelare nicht mehr, sie könnten hier anfangen.« Er schüttelte den Kopf, ohne sie anzusehen. »Und was ist, wenn es an Peter und Paul bewölkt ist? Warten wir dann bis nächstes Jahr?«
»Den Heiligen wird doch vor allen Dingen der Altar geweiht?«, fragte sie ihren Vater.
Der nickte.
»Warum richtet Ihr den Tisch Gottes nicht einfach neu aus und behaltet den Standort der Kirche bei? Das wird doch nicht auffallen, oder?« Sie stellte die Frage erneut ihrem Vater, obwohl der sie nicht beantworten konnte.
In Graf Ludwigs Augen trat ein Hoffnungsschimmer, als er den Bischof fragend ansah.
»Nun, eine Kirche mit einem schief stehenden Altar – vielleicht ein völlig neuer Brauch?« Konrads Stimme war voll beißender Ironie. »Ich wäre Euch trotzdem dankbar, wenn Ihr anschließend niemandem verraten würdet, dass ich der Baumeister dieses Unikums war.«
Graf Ludwig rieb sich die Schläfen. »Wir müssen einen Kompromiss finden, Bischof. Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr errechnen könntet, wie stark der Altar von der Ausrichtung der Kirchenmauern abweichen würde. Dann überlege ich, ob das annehmbar ist. Und jetzt entschuldigt mich.« Müde hob er die Hand zum Gruß und ließ Konrad stehen. Judith begleitete ihn zum Palas.
»Er mag ein sehr guter Vermesser sein, aber manchmal ist er wirklich kleinlich«, beklagte er sich halblaut bei ihr. »Hätte er einfach den Mund gehalten, wer hätte etwas gemerkt?«
Ja, einfach den Mund halten, dachte sie und drückte seinen Arm. »Was macht schon ein schief stehender Altar?«, fragte sie laut. »Gewiss wird es niemandem auffallen.«
»Das hoffe ich. Immerhin werde ich den Erzbischof zur Weihe einladen müssen. Wie peinlich das wäre …«
»Ihr könntet den Fehler auf Eure Vorfahren und den Vorgänger des Erzbischofs schieben.«
»Vorausgesetzt, Bischof Konrad hat recht.«
»Ja.« Sie überlegte erneut, ob es eine Möglichkeit der Überprüfung gab. »Wir müssten also nur feststellen, ob die Sonne am Tag des Peter und Paul genau vor dem Ostfenster der Kirche aufgeht?«
»Ja, aber selbst wenn es wolkenlos ist, das Brunnenhaus neben dem Münzturm verdeckt morgens die Sonne. Sie scheint auch an anderen Tagen nie in dieses Fenster. Wir müssen den Messungen des Bischofs vertrauen.«
Auf der Treppe kam ihnen Beatrix entgegen. Sie trug einen Schleier und trotz des warmen Wetters einen leichten grauen Umhang. Flüchtig nickte sie ihnen zu und huschte vorbei. Verwundert sah der Graf ihr nach.
»Sie reitet wohl aus«, murmelte er nachdenklich. »Sie sollte doch nicht allein unterwegs sein.«
»Der Bischof wird sie begleiten«, mutmaßte Judith.
Ihr Vater hörte ihren Zynismus nicht heraus. Er war mit seinen Gedanken schon wieder bei der Kirche. »Was meinst du, sollen wir den alten Taufstein übernehmen?«
»Warum nicht? Wir sind alle darin getauft worden. Es wäre schade um den Stein.« Sie drehte sich in der Tür noch einmal um und sah Beatrix über die Zugbrücke eilen. Konrad war bereits verschwunden.
»… wäre auch viel zu teuer«, hörte sie ihren Vater sagen.
Sie fühlte eine unbändige Neugier in sich aufsteigen, obwohl ihr Verstand sie warnte. Sie wollte plötzlich wissen, wohin Beatrix ritt. »Ich muss die Kräuter in die Küche bringen!«, rief sie über die Schulter und war schon wieder hinaus.
Sie raffte ihr Kleid und rannte über den Hof zum Bergfried. Den Korb ließ sie am Fuß der Treppe stehen. Die Stufen erschienen ihr zahlreicher als sonst. Aus der Wachstube der Soldaten auf halber Höhe trafen sie verwunderte Blicke, die sie im Vorbeihasten nur aus den Augenwinkeln wahrnahm. Außer Atem erreichte sie die Krone. Hier oben wehte ein milder Wind, der ihr die Wangen kühlte. Sie sah nach Osten. Der Weg zur Klosterbaustelle lag verlassen in der Sonne. In Richtung des Blocksbergs erblickte sie einen hellen Planwagen und zwei Reiter auf kleinen stämmigen Pferden, die von Nordhusen her auf die Burg zukamen. Im Tal vor dem Reinhardtsberg, direkt unterhalb der nördlichen Mauern, rollte ein Ochsenkarren aus dem Mittelwald heraus, der hoch mit Reisig beladen war. Sie schob sich über den flachen Rand der Mauerkrone. Unter ihr klemmte das schäbige Dach der Kapelle zwischen den anderen Ziegeldächern des Burghofs. Es sah tatsächlich schief aus, aber das lag mehr an seiner Baufälligkeit.
Sie lief ein Stück weiter an der Brüstung entlang. Der diensthabende Wachsoldat grüßte,
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