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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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Vorübergehen. Hinter ihm wurde bereits der nächste Wagen beladen.
    »Na, was sagst du?«, fragte Isabella grinsend.
    »Lass uns hinunterreiten.«
    Isabella nickte und fasste die Leine des Fohlens kürzer. Die Büsche und Gräser am Wegrand waren mit weißem Steinmehl überzogen, als wären einem Müller die Mehlsäcke geplatzt. Die Luft roch nach Kalk, auf den Lippen schmeckten sie beißenden Staub. Judith erkannte erst jetzt, wie groß die Steinquader waren, die zum Abtransport bereitlagen. Manche erreichten die Ausmaße einer Kleidertruhe. Am Fuß der Holzgerüste arbeitete eine Gruppe von Steinmetzen an Blöcken, die noch unsymmetrisch aussahen. Schwungvoll hieben die kräftigen Männer auf ihre Meißel ein und ließen unregelmäßige Ecken und Kanten absplittern. Ihre Oberarmmuskeln spielten unter einer dicken Staubschicht. Judith wusste, dass die Arbeiter aus der Lombardei braune Haut und schwarze Haare hatten, denn sie waren im Tross des Grafen gemeinsam gereist. Doch jetzt sah sie nur einheitlich weiß bestaubte Gesichter und graue Locken, unter denen dunkle Augen hervorblitzten. Schweißtropfen hatten Streifen in dem hellen Puder hinterlassen. Die Füße der Männer verschwanden in einer Schicht aus Steinsplittern.
    Der klirrende Gesang der vielen Hämmer ängstigte den kleinen Hengst. Er tänzelte unruhig und drängte sich an seine Mutter.
    »Wir sollten verschwinden!«, rief Isabella gegen den Lärm.
    Gerade als Judith ihr zunicken wollte, sah sie aus dem Augenwinkel einen hellen Splitter wie ein Geschoss auf Gerti zufliegen.
    »Pass auf!«, schrie sie. Doch der Stein war zu schnell. Er zischte dicht am Kopf des Fohlens vorbei und traf die Stute, die schrill wieherte und stieg. Isabella hatte Mühe, im Sattel zu bleiben und gleichzeitig die Leine für den Kleinen nachzulassen, damit er seiner Mutter ausweichen konnte. Gerti rollte mit den Augen, so dass nur noch das Weiße zu sehen war, und preschte los.
    »Kümmer dich um ihn!«, schrie Isabella über ihre Schulter hinweg, ließ das Ende der Laufleine fallen und beugte sich dann über den Pferdehals. Gerti suchte sich ihren Fluchtweg aus dem Steinbruch selbst, niemand konnte sie jetzt aufhalten. Sie zog im wilden Galopp an den Wagen vorbei, schlug am Ende der Reihe einen Haken und rannte zurück. Die Ochsenführer duckten sich hinter die Deichseln. Isabella stand in den Steigbügeln, ihr Gesicht verschwand in der Mähne des Pferdes, und sie schien ihm etwas ins Ohr zu brüllen. Ihre linke Hand hielt die Zügel, die rechte krallte sich in dem Haarschopf des Tiers fest. Mit einem halsbrecherischen Sprung setzte Gerti mit ihrer Reiterin über das letzte Ochsengespann hinweg und fegte die Ausfahrt hinauf. Dann waren sie verschwunden. Der kleine Hengst wollte hinterher, doch seine Leine hatte sich unter dem Rad eines Wagens verklemmt. Er wieherte sehnsüchtig und vollführte ein paar Bocksprünge zur Seite. Seine unverhältnismäßig langen Beine schlenkerten für kurze Zeit gleichzeitig in der Luft. Die Steinmetze und Fuhrknechte, die allmählich aus ihrer Erstarrung erwachten, begannen zu lachen. Bald erfüllte ihr rauhes Gebrüll den gesamten Steinbruch. Das versetzte das Fohlen noch mehr in Angst.
    »Seid still!«, rief Judith wütend und sprang aus dem Sattel. Es war ihre Idee gewesen, in diese lärmende Schlucht zu reiten. Sie hätte wissen müssen, dass das den Pferden nicht gefallen würde.
    »Schscht. Ganz ruhig, Sternchen!« Vorsorglich wickelte sie sich zuerst die Leine um den Arm, bevor sie näher an ihn heranging. Wenn er das Temperament seiner Mutter geerbt hatte, musste sie sich auf einiges gefasst machen. Es war ihre Stute, die ihr zu Hilfe kam. Schnaubend stupste sie das Fohlen an, das sich halbwegs beruhigt an ihre Seite drängte. Sie führte die beiden Pferde am Zügel aus dem Steinbruch. Den kleinen Hengst vom Sattel aus zu lenken, traute sie sich nicht zu, schon gar nicht unter den Augen Dutzender Männer. Immerhin lachten sie nicht mehr. Der Steinbruchmeister war aufgrund der ungewöhnlichen Geräusche aus seiner Bauhütte gekommen und hatte den Befehl zum Weiterarbeiten gegeben. Im Vorbeigehen schnappte sie einige Kommentare der Fuhrknechte auf.
    »Sie reitet wie der Teufel!«
    »Jeder andere wäre abgeworfen worden!«
    »Sie ist eben des Kaisers Tochter!«
    »Sie sollte dich Diabolus nennen«, flüsterte sie dem Kleinen zu, dessen Ohren schon wieder aufgeregt spielten. »Suchst deine Mutter, was? Vorerst musst du mit uns

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