Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
töten. Es kam häufiger vor, dass Diebe, die der Menge in die Hände fielen, bereits tot oder so gut wie tot waren, wenn sie beim Richter abgeliefert wurden. Mondino drehte sich um und rannte zwischen Häusern, Weinbergen
und Gärten davon, aber er wusste, dass er dieses Tempo nicht allzu lange durchhalten konnte.
Als Guido Arlotti aus dem Kanal gestiegen war, konnte er gerade noch die schlanke Gestalt Mondinos hinter einer Hausmauer verschwinden sehen. Der Abstand zwischen ihm und seinen Verfolgern war schon recht groß geworden. Er hoffte, dass sie ihn, falls sie ihn schnappten, erst ordentlich verprügeln würden, ehe sie ihn zur Mühle zurückbrachten.
Wütend erzählte er den Männern, die ihm zu Hilfe geeilt waren, dass dieser Mann versucht hätte, ihn auszurauben, was ihm jedoch glücklicherweise nicht gelungen war. Falls seine Helfer erwähnen sollten, dass Mondino nicht wie ein gewöhnlicher Strauchdieb gekleidet war, würde er sagen, dass es sich seiner Ansicht nach um einen verschuldeten Studenten handelte, der in seiner Verzweiflung wohl versuchte, auf verbrecherische Weise zu Geld zu kommen. Doch die anderen schienen sich überhaupt nicht dafür zu interessieren. Sie versicherten sich lediglich, dass es ihm gut ging, und wollten dann weiter ihren eigenen Geschäften nachgehen. Guido dankte ihnen und nahm das Angebot an, in die Mühle zu gehen, um sich dort abzutrocknen und auf weitere Nachrichten zu warten. Doch zunächst gab er einem Jungen einen Soldo und bat ihn, zu einer Taverne im Borgo di Galliera zu laufen, die er als Stützpunkt für seine Geschäfte benutzte und die zum Glück nicht weit entfernt war. Dort sollte er zwei Männer holen. Er versprach ihm eine weitere Münze, wenn er diese beiden so schnell wie möglich herschaffte.
Die Mühle war klein, aber es wimmelte dort von Menschen: Kunden brachten Getreidesäcke zum Mahlen, andere kauften Mehl bei der Frau des Müllers, und wieder andere schauten nur zum Zeitvertreib vorbei und unterhielten sich über die ständig steigenden Getreidepreise. Der Müller borgte Guido eine weiße
Tunika, und seine Frau, eine rundliche Blondine mit einem üppigen Busen, hängte seine Kleider in der Sonne zum Trocknen auf. Guido musste unzählige Male die Geschichte erzählen, wie er angegriffen worden war und gekämpft hatte, wie er ins Wasser gefallen und der Schurke dann geflüchtet war.
Er dankte lächelnd für die Hilfe, aber innerlich schäumte er vor Wut. Als die Menge endlich genug von seiner Geschichte hatte, zog er sich in eine Ecke zurück, wartete auf seine Gefährten und sann auf Rache. Falls die Männer, die Mondino verfolgten, ihn nicht erwischten, er würde ihn schon wiederfinden und es ihm heimzahlen. Insgeheim hoffte er sogar, dass es ihnen nicht gelang. Schließlich wusste er ja, wo er ihn finden konnte.
Jetzt betraf ihn die Angelegenheit persönlich.
Als Mondino sicher war, dass seine Verfolger die Jagd nach ihm aufgegeben hatten, verlangsamte er sein Tempo und blieb schließlich stehen. Mit einem Arm stützte er sich an einer Mauer ab, um wieder zu Atem zu kommen. Er war vollkommen erschöpft. Diese Art der körperlichen Bewegung brachte das Blut viel zu stark in Wallung und brannte in den Lungen, aber sie erzeugte auch eine angenehme Empfindung, beinahe eine Euphorie. Möglicherweise war jedoch gar nicht die körperliche Anstrengung dafür verantwortlich, sondern die Befriedigung darüber, dass er gekämpft und gewonnen hatte. Andererseits war Mondino überzeugt, dass der andere ihn wiederfinden würde, wenn er ihn tatsächlich seit geraumer Zeit verfolgte, musste er wissen, wo er wohnte. Aber das spielte keine Rolle. Morgen Abend würde die Frist ablaufen, die ihm der Inquisitor gewährt hatte, und das Problem würde sich auf die eine oder andere Art lösen. Der Spitzel würde wahrscheinlich zu seinem Auftraggeber zurückkehren, doch im Moment zählte nur, dass er ihm entkommen war. Mondino wollte schleunigst die Übersetzung
der Karte überprüfen und dann sofort zu Hugues de Narbonne zurückkehren, um nach ihm zu sehen und ihn, falls es ihm besser ging, zu befragen, noch bevor Gerardo dazukam.
Er durchschritt die Circla beim Tor zum Viertel San Pietro, kam an der Walkmühle für Wolle vorbei und bog dann nach rechts in die Felder ab, wobei er immer dem Kanal folgte, der parallel zur Stadtbefestigung in Richtung der Porta delle Lame verlief.
Dieses Mal waren mehr Menschen unterwegs, vielleicht weil Sonnabend war. Im
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