Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
Grunde kam ihm das sogar gelegen, weil er dadurch nicht auffiel. Am frühen Morgen zogen fast alle in Richtung Stadt, überwiegend Bauern und Handwerker, die zu Fuß oder mit Handkarren zum Markt wollten. Hin und wieder kam auch ein Reiter vorbei.
Da Mondino nun den Weg kannte, erreichte er das Haus der Kräuterhexe schneller, als er vermutet hatte. Auch diesmal kam niemand heraus, um ihn zu begrüßen, doch sobald er die Frau gerufen hatte, ertönte von drinnen die Aufforderung, er solle eintreten. Misstrauisch ging Mondino näher auf das Anwesen zu, doch die Hunde ließen sich diesmal nicht blicken. Er drückte die Tür auf und blieb gleich regungslos, wie gelähmt vor Erstaunen im Rahmen stehen. Das Haus bestand nur aus einem einzigen Raum, der gleichzeitig als Küche, Arbeitszimmer und Schlafgemach diente. Er war wesentlich geräumiger, als es die Außenmauern vermuten ließen, und sehr hell. Obwohl er mit zahllosen Dingen angefüllt war, herrschte eine gewisse Ordnung. Keine der üblichen Art, wie Mondino schnell feststellte, als er die Bücher sah, die auf dem Boden zu Türmen und Säulen gestapelt waren, die Heilkräuter, die in einer Ecke zum Trocknen hingen, die Regale voller Ton- und Glasgefäße, den arabischen Destillierapparat und zahlreiche Gegenstände aus Kupfer und Holz, von denen er nicht die leiseste Ahnung hatte, wozu man sie verwendete. Doch er hatte den Eindruck,
dass die Frau, die am Tisch in der Mitte des Raumes über die Seiten eines großen Buches gebeugt saß, sofort mit sicherem Griff jeden Gegenstand finden konnte. Mondino hatte zwar noch nie das Haus einer Kräuterhexe gesehen, aber er hatte es sich deutlich anders vorgestellt.
»Kommt nur herein«, sagte die Frau und wandte sich zu ihm um. »Ihr seid also zurückgekehrt. Ich nehme an, dass Ihr dieses Mal etwas höflicher sein werdet.«
Mondino verbeugte sich leicht in ihre Richtung, was man als Begrüßung oder als eine Art Bestätigung deuten konnte. Er trat ein und blieb in der Mitte des Raumes stehen. Die Frau klappte das Buch zu und lächelte. Dann schien sie sich doch noch auf ihre guten Manieren zu besinnen, deutete mit königlicher Geste auf die einzige Bank des Hauses an einer Längsseite des Tisches und meinte: »Setzt Euch bitte. Ihr habt mir noch nicht gesagt, wer Ihr seid.«
Mondino erklärte, dass er ein Scholar des Studiums sei, wobei er den Namen eines seiner Schüler nannte. Die Frau sah ihn durchdringend an und stellte sich ihrerseits vor: »Hadiya Bint Aabi Bakr, zu Euren Diensten. Aber nennt mich ruhig Adia Bintaba wie jeder hier.« Sie setzte sich in geziemendem Abstand neben ihn auf die Bank und erklärte, als wären sie erst einen Moment vorher auseinandergegangen: »Erzählt mir von der Karte.«
Mondino zog das Pergament eilig aus der Tasche; diesmal sprach er nicht von Geld. Wenn diese Frau für die Übersetzung einen Lohn wollte, würde sie ihn danach fragen müssen.
Adia nahm die Karte und studierte sie aufmerksam. »In den Versen auf Arabisch geht es um eine Hochzeit«, sagte sie und bestätigte damit die Version von Hugues de Narbonne. »Aber sie sind nicht vollständig. Es scheint, als ob einige Worte fehlen würden, denn so, wie er hier steht, ergibt der Text keinen
Sinn. Was die Karte an sich betrifft, so scheinen die Buchstaben zwischen den Löwen etwas Rotes zu bezeichnen, was mir seltsam vorkommt.«
»Warum?«
»Weil es überflüssig ist, das Wort ›rot‹ unter einen roten Punkt zu schreiben. Der Text muss noch eine andere Bedeutung haben.«
»Könnte damit vielleicht ein Ort in Spanien gemeint sein?«
Adias Gesicht erhellte sich. »Aber natürlich. Die rote Festung der Stadt Gharnata, die Ihr Granada nennt. Wahrscheinlich ist sie der Ausgangspunkt, während der nicht näher bezeichnete Punkt oben das Ziel darstellen soll.«
Hugues de Narbonne hatte die Wahrheit gesagt. Mondino ließ die Schultern hängen und sank in sich zusammen. Enttäuschung war gar kein Ausdruck für seinen Gemütszustand. Erst in diesem Moment wurde ihm klar, dass er dem Franzosen allzu bereitwillig Unlauterkeit unterstellt hatte, weil er sich wünschte, dass sich in diesen Versen eine wichtige Botschaft fand. Stattdessen war es nur eine Aneinanderreihung sinnloser Worte, und wenn sich doch etwas darin verbarg, dann höchstens Angaben, wie man einen Ort in Spanien erreichte.
»Seid Ihr ganz sicher? Ich meine, wisst Ihr, diese Karte könnte auch etwas mit Alchimie zu tun haben …«
»Wirklich?«, unterbrach Adia den
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