Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
Christi zu bewahren, konnten sich nicht mit einer derartig schändlichen Tat befleckt haben. Folter, Mord, Gewalt an einem Kind … Und doch bezeugte das Tagebuch das Gegenteil. Die Narbe in Fiammas Gesicht war also auf so grausame Weise entstanden.
Und die Namen der drei Tempelritter, die für diese schreckliche Tat verantwortlich waren, kannte er genau.
Wieder beugte er den Kopf über das Buch und las weiter:
6.Februar, A.D. 1305
Ich habe einen Menschen getötet, und das vollkommen umsonst.
Einen Hirten, der fünf Ziegen hütete. Ich habe ihn durch einen Hilferuf angelockt und ihm den Kopf mit einem Stein zerschmettert. Dann habe ich auch noch eine Ziege getötet, um ihr Fleisch zu essen; eine zweite habe ich lebend mitgenommen und den Rest der Herde freigelassen.
Ich habe das Brustbein des Schäfers aufgeschnitten, wie es mich mein Vater gelehrt hat, das Herz herausgenommen und dabei sorgfältig Venen und Arterien abgetrennt. Dann bin ich Schritt für Schritt den Anweisungen gefolgt, die ich in der Höhle gefunden hatte, indem ich die Zutaten unter einer Kotschicht aus meinen eigene Exkrementen aufweichen ließ.
Als ich die Mischung drei Tage später überprüfte, sah ich, dass sie sich in eine graue, gleichmäßige Masse verwandelt hatte und nicht in eine rote, wie es in den Anweisungen stand. Trotzdem unternahm ich die weiteren Schritte, fügte die anderen Zutaten hinzu und zermahlte alles zu einem sehr feinen Pulver. Dann flehte ich Gott in einem Gebet stumm um Verzeihung an für das, was ich getan hatte, befeuchtete ein Stück Stoff und trug ein wenig von dem Pulver auf meine Narbe auf.
Nichts geschah.
Von namenloser Furcht erfüllt, versuchte ich, der lebenden Ziege das Elixier aus dem in Wasser gelösten Pulver zu trinken zu geben, um zu sehen, was geschehen würde, bevor ich riskierte, es selbst zu trinken.
Doch nichts geschah.
Weinend beschloss ich, mich zu töten. Ich hatte dies alles in der Hoffnung getan, die Wunde heilen zu können, die mein Gesicht verunstaltete und die aussah wie ein von Wasser aufgequollenes Seil. Aber mein Vater muss das dem türkischen Alchimisten
entrissene Geheimnis falsch abgeschrieben haben. Oder das gesamte Dokument war von Anfang eine Fälschung. Seit ich das Büchlein mit den geheimen Anweisungen gefunden habe, weiß ich, warum der Mann, nachdem er aus unserem Haus verschwunden war, ohne Herz vor den Toren Gharnatas gefunden wurde. Mein Vater hat ihn getötet, um das Elixier zu erzeugen. Doch auch ihm ist es anscheinend nicht gelungen. Sonst hätte er es den drei Templern, die ihn folterten, sicher verraten. Besonders als sich deren Grausamkeit gegen mich richtete.
Ich kann nicht glauben, dass er dieses Geheimnis um den Preis seines Lebens schützen wollte. Und um den des meinigen.
Als ich begriff, dass ich für nichts einen Menschen getötet hatte, habe ich verstanden, dass ich nicht besser war als die drei, die meinen Vater umgebracht haben. Und ich beschloss zu sterben.
Bevor ich mir die Kehle mit dem Messer durchschnitt, wollte ich es jedoch ausprobieren, damit mir nicht die Hand dabei zitterte und ich mir eine Wunde zufügte, die mich vor meinem Tod noch stundenlang leiden ließe. Ich schleppte die Ziege ins Innere der Höhle und schlitzte ihren Hals mit einem sicheren Schnitt auf, doch sie wehrte sich und biss mir in die Hand. Mit einer unkontrollierten Bewegung ließ ich die Schale mit dem falschen Elixier fallen. Ein wenig davon legte sich auf die Kehle der Ziege, die noch im Todeskampf zuckte.
Dann geschah etwas, das schwer zu begreifen ist: Vor meinen Augen begann sich das Blut der Ziege in ein dem Eisen ähnliches Metall zu verwandeln. Ich sah, wie ihre Adern anschwollen und die Haut aufplatzte, während sie zu einem metallenen Geflecht wurden Diese Verwandlung schritt so lange voran, bis das Tier starb. Mit dem letzten Herzschlag hörte auch die Verwandlung auf, da das Blut nicht mehr die Körnchen des grauen Pulvers durch den Organismus transportierte.
Und genau in diesem Moment begann in mir der bittersüße Plan meiner Rache aufzukeimen. Ich wusste noch nicht, wo oder wie ich es tun würde, aber ich begriff, dass ich mich nicht umbringen durfte, bevor ich die Mörder meines Vaters und Urheber meiner Verstümmelung aus der Welt geschafft hatte.
Gerardo saß auf dem Boden der Zelle, doch seine Gedanken waren ganz woanders. Es kam ihm beinahe so vor, als sähe er das Grauen jenes Mädchens vor sich, das gerade aus dem brennenden Haus entkommen
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