Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
noch viel zu geben vermochte. Ihm fiel die Aufgabe zu, für sie zu kämpfen, da der Erzbischof ein Feigling war. Und wenn er Erfolg hätte, wenn letzten Endes seine Handlungen zu einer Verurteilung
der Tempelritter führen würden, wie es zweifellos der Wille Seiner Heiligkeit, Papst Clemens V., war, zweifelte er nicht daran, dass jemand an höchster Stelle seine Loyalität zu lohnen wusste.
Gestärkt durch diese Gedanken verließ Uberto seine Zelle und befahl dem ersten Mönch, dem er auf dem Flur begegnete, sofort zum Podestà zu gehen und ihn über den unmittelbar bevorstehenden Besuch des Erzbischofs zu unterrichten. Danach kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück, wo er Rinaldo da Concorezzo mitteilte, er hätte die gewünschten Anordnungen gegeben und man müsse dem Podestà ein paar Stunden Zeit lassen, um sich auf ihren Empfang vorzubereiten.
»Dann lasst uns mit unserer Arbeit fortfahren«, sagte der Erzbischof. »Wir werden das Kloster eben später verlassen.«
»Wie Ihr wünscht, Monsignore.«
Wenn Guido seine Aufgabe gut erfüllte, würde die Stadtmitte in zwei oder drei Stunden bereits unpassierbar sein. Uberto rüstete sich mit Geduld und Sanftmut und holte die Prozessakten aus einem mächtigen, verschlossenen Schrank im Hintergrund des Raumes.
Gerardo öffnete die Augen in der Dunkelheit und wusste nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Der Gedanke an Fiammas Tagebuch drängte sich in seinen Kopf und ließ keinen Raum für anderes, doch weil sein Körper von der Folter geschwächt und von der Kälte steif geworden war, konnte er sich nicht einmal aufsetzen. Er musste sich also in Geduld üben, ganz langsam zunächst nur Hände und Füße bewegen, sich vorsichtig auf die eine Seite, dann auf die andere rollen, um schließlich den Nacken zu beugen und die Schultern zu heben. Erst nach einer endlosen Zeit, in der er seinen Körper wieder die einfachsten Bewegungen gelehrt hatte, wie ein Toter, der aus dem Grab aufersteht, gelang es ihm, sich auf alle viere aufzurichten,
sich die Lampe zu holen und den Ziegelsteinsplitter so kräftig über den Boden zu ziehen, dass der einen kleinen Funkenregen erzeugte.
Nichts.
Um den Docht anzuzünden, reichte der Funke nicht aus, man brauchte eine Lunte dazu, und das Stroh war zu feucht.
Gerardo packte den Saum seines Gewandes mit der unversehrten Hand und führte ihn an den Mund. Er zerrte mit den Zähnen daran, bis er etwas abgerissen hatte. Geduldig machte er sich daran, den Stoff auszufransen, so dass er auf dem Boden ein kleines Häufchen Fasern erhielt. Er verteilte sie über einige der trockensten Strohhalme und zog wieder den Splitter über den Boden. Beim vierten oder fünften Versuch entzündete sich die Lunte und glomm. Gerardo blies zart darauf, überaus vorsichtig, um sie nicht auszupusten, und endlich erhob sich aus dem Haufen ein Flämmchen. Rasch nahm er einen Strohhalm und führte ihn an den Docht. Kurz darauf breitete sich in der Zelle ein flackerndes Licht aus. In der Lampe war nur noch wenig Öl, deshalb beeilte sich Gerardo mit dem Lesen des Tagebuchs. Es war auf Latein geschrieben, und über jeder Seite stand ein Datum.
18. Januar A.D. 1305
Heute bin ich seit einer Woche in der Höhle oder vielleicht sogar noch länger. Der Schmerz im Gesicht hat ein wenig nachgelassen, doch die Haut spannt, als gehörte sie nicht zu mir. Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin. Ich bin lange gelaufen, unter Tränen und mit zusammengebissenen Zähnen, dann habe ich geschlafen. Meine Erinnerungen an jene Tage sind verschwommen. Doch von dem, was vorher geschehen ist, erinnere ich jede Einzelheit, als würde ich es gerade vor mir sehen. Eigentlich habe ich anfangs gar nichts gesehen, sondern nur gehört, von dem Versteck unter dem Boden aus, wo ich mich
auf Befehl meines Vaters verborgen hatte, als die drei Männer ihre Pferde vor unserem Haus anhielten.
Es waren drei Tempelritter. Sie sind ins Haus gekommen, haben ihn gefesselt und ihn mit glühenden Eisen gefoltert, wobei sie von ihm forderten, er solle das Geheimnis des Elixiers offenbaren. Er sagte immer wieder, er kenne es nicht, aber sie haben ihm nicht geglaubt. Sie haben etwas von einem türkischen Alchimisten erzählt, den man ermordet und ohne Herz vor den Toren Gharnatas gefunden hatte. Und sie beschuldigten meinen Vater, ihn getötet zu haben. Vater hat weiter alles abgestritten, doch ich spürte deutlich, dass er log. Und zwar, weil er im letzten Jahr die alchimistischen
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