Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
mich gelehrt, dass der Glaube keiner Beweise bedarf.«
»Dann erscheint es Euch also logisch, für ein Urteil über menschliche Verfehlungen und die christliche Lehre ein und dasselbe System anzuwenden, als seien diese gleichzusetzen?«
»Das habe ich nicht gesagt, Monsignore.«
»Gesagt habt Ihr es tatsächlich nicht, aber Eure Taten sprechen für Euch. Seid ehrlich, Pater Uberto. Mir kommen ernsthafte Zweifel, ob Ihr der Richtige seid, um diese Aufgabe zu erfüllen.«
Dieser Schlag traf Uberto unvorbereitet. Er öffnete ein paarmal stumm den Mund, bis er schließlich hervorbrachte: »Wollt Ihr mich etwa meines Amtes entheben? Aber das geht nicht. Es sind nur noch wenige Wochen bis zum Ende des Prozesses. Hinsichtlich der vom Pontifex veranschlagten Zeiten sind wir bereits im Verzug, und …«
»Beruhigt Euch, ich weiß auch, dass es zu spät für einen Austausch ist. Ich habe nur vor, Euch zwei Franziskanermönche meines Vertrauens zur Seite zu stellen, damit Ihr durch eine konstruktive Gegenüberstellung gemeinsam die gerechtesten Entscheidungen treffen könnt.«
Diesmal verschlug es Uberto tatsächlich die Sprache. In jeder seiner Entscheidungen dem Urteil der Franziskaner unterworfen zu sein, bedeutete eine schlimmere Demütigung als eine Amtsenthebung. Nun gab es keinen Zweifel mehr: Der Erzbischof hatte ihm den Krieg erklärt.
»Wenn dies Euer Entschluss ist, respektiere ich ihn und nehme ihn widerspruchslos an«, sagte er, sichtlich bemüht, ruhig zu bleiben. »Sollte es dennoch etwas geben, was ich tun kann, um Euer Vertrauen zurückzugewinnen, so sagt es mir bitte.«
Der Erzbischof seufzte. »Das wird sich zeigen. Es hängt viel davon ab, was uns der Gefangene während des Verhörs gleich sagen wird. Sollte es sich herausstellen, dass er eindeutig der Morde schuldig ist, die ihm zur Last gelegt werden, und sollte man auch sehen, dass er nicht allein dafür verantwortlich ist, sondern noch andere Mitglieder seines Ordens, wie Ihr anzunehmen scheint, wird der Prozess zu einem schnellen Ende kommen und niemand sein Amt aufgeben müssen.«
»Ich danke Euch, Monsignore, und vertraue darauf, dass alles so verlaufen wird, wie Ihr es gerade geschildert habt.«
Rinaldo machte eine Handbewegung, als wollte er sagen, es sei noch zu früh für Dankesbezeugungen, dann sah er aus dem Fenster und meinte schließlich: »Ich glaube, jetzt ist der Moment gekommen, um unsere Arbeit im Konvent zu unterbrechen und uns zum Palazzo des Podestà zu begeben.«
Auf diesen Moment hatte Uberto gewartet. Er hatte überlegt, ob er versuchen sollte, den Kirchenfürsten von seiner Meinung abzubringen, und war eigentlich sicher, dass Rinaldo nach einem eher formellen Protest nachgeben würde. Aber nun war seine Wut zu groß. Soll er doch die Folgen seiner Sturheit zu spüren bekommen, dachte er.
»Natürlich, Monsignore. Ich werde sofort Anweisung geben, dass man uns eine kleine Eskorte zusammenstellt.«
»Keine Eskorte und kein Pomp«, erwiderte Rinaldo. »Damit erregen wir nur weiter den Unwillen des Volks. Nur wir beide werden gehen, begleitet von zwei Mönchen mit Weihrauchfass und Schiffchen und einem Kruzifixträger.«
Uberto nickte, als sei dieser dumme Vorschlag ein vernünftiger Gedanke. »Wie Ihr wünscht«, sagte er nur und verließ sein Studierzimmer.
Während er die Treppe hinunterging, ahnte er bereits, welche Mönche sie begleiten würden. Einer von ihnen war höchstwahrscheinlich der Spion, der dem Erzbischof alles hinterbracht hatte. Im Laufe des vergangenen Tages hatte er ihn zweimal im Gespräch mit Rinaldo überrascht. Er würde ihm anordnen, das Kreuz zu tragen. Es war nur gerecht, dass er die Gefahren einer Lage teilte, die auch durch sein Zutun entstanden war. Die anderen waren zwei junge kräftige Männer, die sie im Notfall verteidigen konnten.
Vor der geschlossenen Tür des Priors blieb Uberto stehen. Er hatte bereits die Hand gehoben, um anzuklopfen, als
ihn plötzlich ein Gedanke durchzuckte. In einem so entscheidenden Augenblick seines Lebens musste er beten, bevor er irgendetwas tat. Er ging eilig davon und begab sich in die kleine Kapelle, die man in der Zelle eingerichtet hatte, in der der heilige Dominikus sein Leben ausgehaucht hatte.
Kaum war er über die Schwelle getreten, fiel er auf die Knie, rief den Heiligen an und bat ihn, sich für ihn bei Gott zu verwenden. Uberto wusste, dass seine Laufbahn nun zu Ende war. Sollten sie den Gefangenen nicht verhören können, würde ihn der
Weitere Kostenlose Bücher