Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
noch immer aufgebracht, dass er die von dem anonymen Informanten gemeldete Leiche nicht gefunden hatte, und seine Wut war keineswegs verraucht, als er sich erinnerte, wie hochmütig ihm dieser Arzt den Zutritt zur Schule verweigert und zudem damit gedroht hatte, einen Aufruhr unter den Studenten auszulösen. In dieser gereizten Stimmung hatte Uberto sich dann über einen Bruder geärgert, der eine Karaffe Wasser auf dem Boden verschüttet hatte, und ihm zur Buße einen Tag mit harter Arbeit auf dem Friedhof auferlegt.
Eigentlich hatte nur der Prior die Macht, Strafen zu verhängen, aber er war zu weichherzig dafür. Seitdem Uberto sich im Kloster einquartiert hatte, war er so gut wie nicht mehr in Erscheinung getreten. So konnte er sich immer, wenn seine Autorität übergangen wurde, herausreden, dass er nicht zugegen gewesen wäre, nichts gesehen hätte oder von nichts wüsste.
So war es dazu gekommen, dass Uberto nun alle Befehle erteilte. Und auch wenn ihm das rechtmäßig erschien, da er dazu befähigt war, bemühte er sich, nicht der Sünde des Hochmuts zu verfallen. Aus diesem Grund hatte er nach einer Weile beschlossen, dem von ihm bestraften Mönch bei der Arbeit des Unkrautzupfens auf dem Friedhof zur Hand zu gehen. Er beglückwünschte sich dazu, dass er gegen sich selbst ebenso
unerbittlich war wie gegen jeden anderen. Außerdem war die körperliche Anstrengung das einzige Mittel, seinen Zorn abzureagieren.
Sie arbeiteten schweigend, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Uberto bückte sich, um einen Löwenzahn auszureißen, der in einem Spalt zwischen zwei Ziegelsteinen gewachsen war, aber die lange spitze Wurzel brach kurz unter der Erdoberfläche ab, und in seinen Händen blieben bloß die Blätter zurück. Das bedeutete, dass die Pflanze dort bereits in wenigen Tagen wieder hervorsprießen würde.
Er richtete sich auf und blickte über die Grabreihen, die noch vor ihm lagen. Jedes Jahr gab es mehr Anfragen von Prälaten und hochrangigen Persönlichkeiten, die in der Nähe des Grabes des heiligen Dominikus bestattet werden wollten, und das Kloster konnte sie kaum alle aufnehmen. Der Friedhof war überfüllt, und selbst wenn die Brüder sich nach Leibeskräften bemühten, ihn zu pflegen, wuchs das Unkraut doch immer wieder nach.
Genau wie die Ketzerei, nach jedem Versuch, sie mit Stumpf und Stiel auszumerzen, dachte Uberto, berührt von der schlichten Wahrheit dieser Analogie, die andere in ihrem eifrigen Bemühen um Originalität vielleicht nur als simpel abgetan hätten. Doch der Grund dafür war nicht die Ketzerei. Die Schuld lag bei den Inquisitoren, die es aus Sorge, dass sie sich bei den örtlichen Machthabern unbeliebt machen könnten, bei haarspalterischen Prozessen und milden Strafen bewenden ließen. Wie konnte man einen Ketzer abschrecken, wenn man ihn höchstens dazu verurteilte, eine Pilgerreise zum Heiligen Stuhl anzutreten?
Es gab nur einen einzigen Weg, das Wiedererstarken der Ketzerei zu verhindern: Man musste sie mitsamt der Wurzel ausreißen, egal wie viel Mühe das kosten mochte. Sicher würden dabei auch Fehler begangen werden. Und so mancher Unschuldige
würde auf dem Scheiterhaufen enden, aber zumindest wäre seine Seele gerettet, weil er für das Wohl der Kirche gestorben war. So hatte man es mit den Katharern im Languedoc gehalten und in jüngerer Zeit mit Fra Dolcino und seinen Anhängern. Katharer und Dolcinianer gab es mittlerweile nicht mehr.
Und so musste man auch mit den Templern verfahren. Die Aufgabe der Heiligen Inquisition war es dabei nicht, sichere Beweise für Schuld oder Unschuld zu finden, wie es der Erzbischof von Ravenna, Rinaldo da Concorezzo, wollte. Die Anschuldigungen gegen die Tempelritter waren zu schwerwiegend und ihre Macht zu groß, als dass die Kirche das Risiko eingehen konnte, sie freizusprechen. Der Orden musste vernichtet werden und ihre Anführer auf dem Scheiterhaufen brennen. Es war die Aufgabe eines jeden guten Inquisitors, die Kirche bei der Erreichung dieses Ziels zu unterstützen, selbst wenn man dafür schwierige Entscheidungen treffen musste.
Uberto da Rimini setzte sich zum Nachdenken auf die Stufe eines Grabes, während der Bruder mit seiner Arbeit fortfuhr, ohne innezuhalten oder auch nur den Kopf zu heben.
Die Verbrecher scherten sich nicht um die Befolgung von Gesetzen, wenn sie ihre Missetaten begingen. Warum sollte sich also derjenige, der sie bekämpfte, von einer Reihe nutzloser Vorschriften aufhalten lassen? Wenn er
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