Das Geheimnis der antiken Kette
glühend, heimzukehren.
Rue klopfte an die Haustür. Als sich die Haushälterin nicht meldete, öffnete sie einfach die Tür und trat ein. Bemerkenswert, dachte sie kopfschüttelnd. Bethie und ihr Ehemann waren in Kalifornien, das Hausmädchen hatte für diesen Tag schon Schluss gemacht, aber das Haus war unverschlossen.
Rue raffte ihren scheußlichen Rock, um sich nicht das Genick zu brechen, und hastete die Vordertreppe hinauf. Auf dem oberen Korridor blieb sie vor der verbrannten Tür einen Moment stehen, stieß sie auf und kletterte auf einen verkohlten Balken hinaus.
Die antike Halskette schien auf ihrer Haut zu brennen. Rue schloss die Augen und klammerte sich mit beiden Händen an dem geschwärzten Türrahmen fest. »Bitte, lass mich heim«, flüsterte sie.
Im nächsten Moment nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und schnellte sich über die Schwelle in das Haus.
Als sie einen modernen Teppichboden unter ihren Fingern fühlte, schoss Erleichterung in ihr hoch, obwohl sich auch etwas Kummer untermischte. Vielleicht sah sie ihre Cousine Elisabeth nie wieder.
Oder Farley.
Rue raffte sich auf und stieß einen Begeisterungsschrei darüber aus, dass sie wieder im Land der sanitären Einrichtungen, des Fast Food und der Kreditkarten war. Sie blickte auf das rot-weiße Kleid mit dem langen Rock und den Puffärmeln hinunter. Es war ein sichtbarer Beweis dafür, dass sie im Jahr 1892 gewesen war. Niemand sonst würde sich davon überzeugen lassen, aber Rue störte sich nicht daran. Es genügte, wenn sie wusste, dass sie nicht den Verstand verlor.
Nachdem sie in dem Restaurant in Pine River angerufen hatte, das Pizza lieferte, zog sie das Kleid aus, nahm ein luxuriöses Bad und schlüpfte in eine lange Kakihose und einen weißen Sweater. Sie föhnte gerade ihr Haar, als es an der Tür klingelte.
Rue schnappte sich etwas Geld von ihrem Sekretär und lief nach unten. Der Pizzazusteller, ein junger Mann, stand auf der Veranda und sah unbehaglich drein. Rue lächelte und fragte sich, welche Geschichten er wohl über das Haus gehört hatte.
»Danke.« Sie reichte ihm einen Geldschein.
Der Junge übergab ihr die Pizza, betrachtete jedoch verwirrt das Geld. »Aus welchem Land ist das?«, fragte er.
Rue roch schon das köstliche Aroma aus dem Karton und wollte allein mit ihrem Essen sein. »Aus diesem Land«, erwiderte sie abrupt.
Dann fiel ihr Blick auf den Geldschein, und sie erkannte, dass sie versucht hatte, die Pizza mit einem Teil ihres Pokergewinns aus dem Jahr 1892 zu bezahlen.
»Ich bin Sammlerin«, erklärte sie und nahm das Geld zurück. »Einen Moment. Ich hole anderes Geld.«
Damit ließ sie die Pizza widerstrebend auf dem Tisch in der Diele zurück und eilte nach oben. Als sie zurückkehrte, bezahlte sie den Boten mit moderner Währung und einem Lächeln.
Der junge Mann bedankte sich und eilte zurück zu seinem Lieferwagen. Dabei blickte er ständig über seine Schulter, als erwartete er, dass sich das Haus bewegte.
Rue lächelte und schloss die Tür.
In der Küche aß sie zwei Stücke Pizza und schob den Rest für später in den Kühlschrank. Danach fuhr sie in die Stadt, vorbei an der Bücherei und dem Gerichtsgebäude und dem Supermarkt. Noch an diesem Vormittag – und doch auch wieder nicht – hatten sich an dieser Stelle das Büro des Marshals und der General Store und der Galgenvogel-Saloon befunden. Die in Farleys Zeit staubige, von Wagengleisen durchzogene und mit Pferdemist bedeckte Straße war jetzt asphaltiert und relativ sauber.
Erst als sie den Friedhof erreichte, erkannte Rue, dass sie die ganze Zeit hierher hatte fahren wollen. Sie parkte neben einem ordentlich gestrichenen Holzzaun und ging an der altmodischen Holzkirche vorbei zu dem dahinterliegenden Friedhof.
Rue blieb kurz vor Tante Veritys Grabstein stehen, bückte sich und zupfte Unkraut, bevor sie in den ältesten Teil ging. Sehr schnell fand sie den Abschnitt der Fortners, eine Ansammlung von Gräben, die von einem niedrigen schmiedeeisernen Zaun umgeben war.
Sie öffnete das kleine Türchen, das in rostigen Angeln quietschte, und trat hindurch.
Jonathan Fortners Grab befand sich in der Mitte, und neben seinem Stein stand einer mit der Aufschrift Elisabeth Fortner. Rue fühlte Tränen in ihren Augen brennen. Bethie mochte noch in jener anderen Dimension leben, aber in dieser war sie schon lange tot. Ebenso ihr Mann und alle ihre Kinder.
Nachdem sie sich von dem Schock erholt hatte, vor Bethies Grab zu stehen,
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