Das Geheimnis der antiken Kette
gab an diesem Tag keine Vorfälle mehr, und Rue verbrachte ihre Zeit mit Vorbereitungen für die Rückkehr in das alte Pine River. Sie lüftete das empfindliche Kleid und fand bei einem Ausflug auf den Dachboden einen von Tante Veritys Schmuckkästen und nahm sich eine Brosche und ein Set angelaufener Silberkämme.
Später in ihrem Schlafzimmer zog sie das Kleid an und übte den Gebrauch der Kämme. Als sie die Technik beherrschte, betrachtete sie lange ihr Spiegelbild, und ihr romantisches Aussehen gefiel ihr.
Der leicht muffige Geruch des Stoffs war jedoch eine Erinnerung daran, dass sie und das Kleid zwei unterschiedlichen Zeiten angehörten.
Vorsichtig zog Rue sich wieder um. Sie war noch nicht ganz bereit, in die Vergangenheit zurückzukehren. Sie musste erst alle ihre inneren Kräfte sammeln, damit diese Reise etwas brachte.
Um sicherzustellen, dass es keine ungeplanten Besuche in der anderen Welt gab, legte Rue die Halskette in eine Alabasterschatulle auf dem Schminktisch. Flüchtig fragte sie sich, ob der Anhänger gelegentlich aus eigener Kraft hin und her wandern konnte zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
Der Gedanke verursachte Rue kurze Panik. Sie griff nach der Halskette, zog ihre Hand zurück, streckte sie erneut aus. Endlich wandte sie sich entschlossen ab und ging weg, um sich nicht in die Gewalt eines antiken Anhängers an einer Kette zu begeben.
Die Anziehungskraft der Kette war allerdings stark, und Rue musste das Haus verlassen, um sich davon fernzuhalten.
Sie beschloss, den Buzbee-Schwestern einen Besuch abzustatten, den beiden alten Jungfern, die auf der anderen Straßenseite wohnten. Vielleicht konnten sie Licht in die Situation bringen.
Roberta Buzbee, eine unscheinbare, kantige Frau, begrüßte Rue an der Tür. Sie schien sich über die Gesellschaft zu freuen, und nachdem sie erklärt hatte, ihre Schwester wäre »indisponiert«, lud sie Rue zum Tee ein.
Sie saßen im Wohnzimmer vor einem prasselnden Feuer aus Apfelholz. Es war ein gemütlicher Raum, abgesehen von dem Schrumpf köpf auf dem Klavier. Rue fragte nicht, wie die Schwestern dieses Erinnerungsstück erworben hatten, weil sie ziemlich sicher war, dass Miss Roberta es ihr erzählen würde. Haarklein.
»Hat es irgendwelche Fortschritte bei der Suche nach Ihrer Cousine Elisabeth gegeben?«, fragte Miss Roberta. Die Schwestern hatten zu den ersten Leuten gehört, mit denen Rue nach ihrer Ankunft in Pine River gesprochen hatte, und die beiden hatten nie die offiziellen Theorien geschluckt.
Rue zuckte mit den Schultern. »Ich werde sie finden. Ganz gleich, was dazu nötig ist, ganz gleich, was ich tun muss, ich werde Bethie sehen und mich vergewissern, dass es ihr gut geht.«
Miss Roberta nickte steif und nippte anmutig an ihrem Tee.
Rue räusperte sich und versuchte es noch einmal. »Miss Roberta, sind schon andere Leute aus diesem Haus verschwunden? Vorübergehend oder für immer?«
Die Frau sah eindeutig unbehaglich drein. »Nicht nur das. Es sind auch Leute erschienen«, vertraute sie ihr an. »Meistens Leute in Kleidung aus alten Zeiten.«
Rue rutschte bis zur Stuhlkante vor. »Zum Beispiel wer?«
»Nun, da war eine Frau, die ich nie mochte. Verity nahm sie unter ihre Fittiche, bis sie endlich die Stadt verließ. Manchmal sehen meine Schwester und ich einen Einspänner, der in Ihre Einfahrt einbiegt. Und dann ist da noch eine andere Frau, die man sehen kann, wie sie an einem schönen Frühlingsmorgen Kleider ins Freie hängt.«
Ellen, dachte Rue. Lizzies Haushälterin. »Geister?«, fragte Rue, um die alte Jungfer am Reden zu halten.
»Ach du meine Güte, nein. So etwas gibt es nicht – nur Orte, an denen der Vorhang zwischen ihrer und unserer Zeit ein wenig dünn geworden ist, das ist alles. Meine Schwester und ich glauben, dass die Zeit aus einem einzigen Stück besteht, wie ein großer Wandbehang. Möchten Sie ein Zitronenplätzchen? Ich habe sie heute Vormittag gebacken.«
Rue liebte selbst gemachte Süßigkeiten, ganz gleich, wie aufgeregt sie sein mochte, und sie stimmte begeistert zu.
Während ihre Gastgeberin jedoch in der Küche war, fand Rue keine Ruhe. Sie griff nach einem kleinen Buch auf dem Beistelltisch. Der Titel »Mein Leben im alten Pine River« deutete an, dass es sich um lokale Geschichte handelte. Sie blätterte die Seiten mit Bildern in der Mitte des Buches durch.
Rues Herz verkrampfte sich, als sie auf ein Foto von Elisabeth stieß, wie sie mit den Leuten der Stadt vor einer neu
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