Das Geheimnis der antiken Kette
Marshal an ihrem Nacken.
Leder knarrte, als Rue sich umdrehte und in dieses scharf geschnittene Gesicht blickte. »Meine … unsere Tante hat jeder von uns eine solche Halskette geschenkt«, log sie. »Elis… Lizzie trägt wahrscheinlich ihre Kette.«
Farley blickte skeptisch drein. »Übrigens, die Presbyterianerinnen werden sich ganz schön aufregen, wenn sie Ihre Kleidung sehen. Es schickt sich nicht für eine Lady, Hosen zu tragen.«
Rue wäre vielleicht über seine Bemerkungen amüsiert gewesen, wäre nicht Panik in ihr hochgestiegen. Nichts in ihren reichlich wilden Erfahrungen hatte sie darauf vorbereitet, so einfach ins Jahr 1892 gestoßen zu werden. »Ich habe sonst nichts anzuziehen«, sagte sie mit einer untypischen dünnen Stimme.
Nach einem staubigen Ritt erreichten sie Pine River. Auch hier war die Zeit zurückgedreht. Es gab Saloons mit Schwingtüren, und eine große Sägemühle am Fluss kreischte und schleuderte Sägemehl in die Luft. Leute gingen auf hölzernen Bürgersteigen und fuhren in Einspännern und Pferdewagen. Rue konnte nur starren.
Marshal Haynes hob sie vom Pferd und schob sie zu dem Bürgersteig. Bronzefarbene Buchstaben auf dem Gebäude verkündeten PINE RIVER GEFÄNGNIS, FARLEY HAYNES, MARSHAL.
Tapfer beschloss Rue hierzubleiben, bis Elisabeth wiederkam. Trotz der Briefe wollte sie sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es ihrer Cousine gut ging, bevor sie diese andere Welt – oder was immer es war – hinter sich ließ.
»Glauben Sie an Geister, Farley?«, fragte sie kameradschaftlich, sobald sie drinnen waren und der Marshal die kleine Tür in dem Gitter geöffnet hatte, das seinen Schreibtisch, den Schrank und den Ofen von der einzelnen Gefängniszelle trennte.
»Nein, Ma’am«, antwortete er seufzend und betrachtete sie. »Aber ich glaube daran, dass in dieser Welt seltsame Dinge vor sich gehen, die man nicht so leicht erklären kann.«
Rue betrachtete die Steckbriefe und die altmodischen Gewehre in einem Ständer. »Da werden Sie von mir keinen Widerspruch hören«, antwortete sie endlich.
2. KAPITEL
Der Marshal deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, und Rue setzte sich. »Wie erklären Sie Ihre Kleider?«, fragte er.
Sie holte bebend Luft. »Wo ich herkomme, ziehen sich viele Frauen so an.«
»Und wo ist das?«, fragte er herablassend.
»Montana. Ich habe dort eine Ranch.«
Farley kratzte sich im Nacken, aber Rue fühlte unter seinem lässigen Benehmen eine tödliche Energie, eine gewaltige körperliche und emotionale Kraft, die kaum gezügelt wurde. Bevor sie es verhindern konnte, sprangen ihre Gedanken zu der Frage, wie es wäre, von diesem Mann in den Armen gehalten und gestreichelt zu werden.
Allein schon die bloße Vorstellung verschaffte ihr einen ängstlichen Genuss.
»Stört es denn Ihren Mann nicht, dass seine Frau wie ein gewöhnlicher Cowboy herumläuft?«, fragte er ruhig.
»Ich habe keinen Mann.« Sie glaubte, eine Reaktion in seinen unglaublichen Augen flackern zu sehen.
»Dann Ihr Daddy?«
»Ich stehe meinen Eltern nicht nahe.« Das stimmte. Rues Eltern hatten sich vor Jahren scheiden lassen und waren getrennter Wege gegangen. Ihre Mutter steckte jetzt vermutlich in irgendeinem schicken Kurort und bereitete sich auf die Skisaison vor, und ihr Vater hatte die letzte Postkarte aus Monaco geschickt. »Ich bin allein. Abgesehen von Elisabeth.«
Der Marshal betrachtete sie eine Weile, ehe er sich vorbeugte. »Ich lasse Sie erst einmal laufen, aber wenn Sie sich irgendwelchen Ärger aufhalsen, Ma’am, kriegen Sie es mit mir zu tun.«
Ein paar Sprüche fielen ihr als Antwort ein, aber sie hielt sie zurück. »Ich … gehe jetzt«, sagte sie befangen, ehe sie aus dem Gefängnis auf die Straße jagte.
Das Kreischen der Sägemühle schmerzte in Rues Ohren, und sie eilte in die entgegengesetzte Richtung. Es musste gut eine dreiviertel Stunde bis zu dem Haus sein, und nach dem Anblick des Himmels zu urteilen, würde die Sonne bald untergehen.
Als sie am Galgenvogel-Saloon vorbeiging, hielt sie ein schriller Zuruf vom Bürgersteig her an. Rue blickte hoch. Zwei Prostituierte lehnten an einem verwitterten Geländer, und ihre schäbig wirkenden Satinkleider schimmerten in der Sonne des späten Nachmittags. »Wo hast du denn die Hosen her?«, fragte die Frau in Blau und spuckte Tabak auf die Straße hinunter.
Die Rothaarige neben ihr in einem hässlichen erbsengrünen Kleid, kicherte, als habe ihre Freundin etwas unglaublich Kluges
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