Das Geheimnis der Apothekerin
ändern und … mir zu vergeben.«
Damit drehte er sich um, sprang auf sein Pferd und galoppierte davon, ohne sich zu verabschieden oder auch nur einmal zurückzublicken.
Als Lilly Mrs Mimpurse an diesem Abend leise die Neuigkeiten über Mr Marlow erzählte, schüttelte die ehemalige Amme der Marlows den Kopf und presste missbilligend die Lippen zusammen, was nur sehr selten vorkam.
»Er liegt noch nicht mal im Grab und schon streiten sie sich um sein Geld. Nichts als Kummer und Sorgen.«
»Worum geht es?«, fragte Mary, die aus dem Gästeraum kam. Ihr Finger war noch verbunden, heilte aber gut.
»Sir Henry hat sein Testament geändert«, erklärte Lilly. »Die neue Lady Marlow bekommt sehr viel Geld und deshalb ist Marlow House höchstwahrscheinlich dem Untergang geweiht.«
Marys Braue hob sich. »Wenn sie das Geld und den Titel einer Lady wollte«, sagte sie, »warum hat sie dann nicht den Erben geheiratet? Dann hätte sie beides gehabt. Sie musste doch wissen, dass Sir Henry nicht mehr lange leben würde.«
»Vielleicht liebt sie Sir Henry wirklich«, überlegte Mrs Mimpurse. Dann seufzte sie. »Und jetzt hat der arme Mann den Verstand verloren und die Hochzeit ist noch nicht einmal zwei Monate her.«
Lilly wusste, dass Maude voreingenommen war, was ihren früheren Arbeitgeber betraf, aber sie konnte sich nicht so recht vorstellen, dass Cassandra Powell den kranken Mann nur aus Liebe geheiratet hatte. »Oder vielleicht gefiel ihr auch der Gedanke, frei über ihr Witwenvermögen zu verfügen.«
Mrs Mimpurse schüttelte den Kopf. »Die meisten Witwen erhalten nur einen kleinen Teil der Mitgift, die sie in die Ehe mitgebracht haben. In allem, was darüber hinausgeht, sind sie ganz und gar von der Großzügigkeit des Erben ihres Mannes abhängig.«
Lilly überlegte laut. »Dann wollte Lady Marlow vielleicht nicht von Rodericks Großzügigkeit abhängig sein und hat deshalb Sir Henry überredet, sein Testament zu ändern, wie Roderick es vermutet.«
Das konnte Lilly nachvollziehen. Aber sie konnte nicht vorhersehen, welche Gefahr das für sie alle bedeutete.
43
Oh du, dem solche Heilkraft ist verlieh'n,
dem Abgesandten, wie uns dünkt, des Himmels.
Richard Cumberland, Ode to Doctor Robert James
Als am folgenden Nachmittag die Nachricht kam, war Lilly nicht überrascht. Roderick Marlow bat Charles Haswell in ein paar hastig hingeworfenen Zeilen, sofort zu kommen und alles Notwendige mitzubringen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich gerufen werde, nicht, wo Foster doch gestern bei Sir Henry war.« Ihr Vater stöhnte und schwang seine Beine vom Bett.
»Ich kann doch wieder gehen, Vater. Dir geht es heute nicht gut genug.«
Er hielt die Nachricht hoch. »Er bittet aber ausdrücklich darum, dass ich komme. Ich möchte ihm das nicht abschlagen.«
»Dann begleite ich dich.«
Sie spannte Pennywort an und half ihrem Vater in das Boot. Danach hob sie seinen größten Apothekerkoffer hinein.
Als sie eintrafen, öffnete Mr Withers ihnen die Tür. Lilly merkte, dass er noch immer sehr erregt wirkte, und war überrascht, dass er sie nicht wie gewöhnlich zum Zimmer seines Herrn begleitete.
Sie half ihrem Vater die große Treppe hinauf und den Flur entlang, der zu Sir Henrys Zimmer führte. Dabei sagte sie tröstend: »Es ist nicht mehr weit, Vater.«
Sie stieß die Tür auf und war überrascht, Dr. Graves im Ankleidezimmer von Sir Henry stehen zu sehen.
»Wir haben Sie hier nicht erwartet«, sagte sie.
»Ich wurde von Mr Marlow herbestellt.«
»Wir auch.«
Bevor einer von ihnen noch etwas sagen konnte, gaben die Knie ihres Vaters nach. Dr. Graves nahm hastig seinen Arm und zusammen setzten sie ihn auf einen prall gepolsterten Sessel. Mit zitternder Hand zog ihr Vater ein Taschentuch heraus und wischte sich über die schweißnasse Stirn. »Es waren doch ziemlich viele Treppenstufen.«
Einige Augenblicke später ging die Tür erneut auf und Mr Shuttleworth kam herein, den Stock in der Hand. Er strich seinen eleganten Mantel glatt, bevor er merkte, dass noch andere Personen im Zimmer waren. Als er sie sah, erschrak er förmlich. »Du meine Güte! Dem alten Herrn muss es aber wirklich sehr schlecht gehen.«
Lilly nickte. Ihr Herz klopfte heftig beim Gedanken an den Kummer und die Wut, die sie am Tag zuvor bei Roderick Marlow gesehen hatte. Was auch immer jetzt kommen mochte, es würde nicht angenehm sein.
Die Tür zum inneren Raum, Sir Henrys privatem Schlafzimmer, ging auf und Roderick Marlow kam heraus.
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