Das Geheimnis der Apothekerin
hob die Hand. »Ich fürchte, wir alle können wenig für Sir Henry tun – außer beten.«
Marlow machte eine ärgerliche Handbewegung.
Francis sagte: »Aber ich schlage vor, dass Sie hier im Zimmer bleiben, Mr Marlow. Verbringen Sie so viel Zeit wie möglich bei ihm. Reden Sie mit ihm. Es kann gut sein, dass er Sie hört.«
Einen Augenblick lang leuchteten Marlows Augen auf. »Glauben Sie das wirklich?«
Francis nickte. »Wir werden Sie und Sir Henry in Ruhe lassen.«
Marlow verschränkte die Arme und kniff die Augen zusammen. »Niemand von Ihnen geht irgendwohin. Nicht, ehe Sie erreicht haben, weshalb ich Sie rufen ließ.«
»Wir gehen nicht weg, Sir. Wir ziehen uns nur in das Ankleidezimmer zurück.« Francis hielt Marlows Blick stand. »Sie haben mein Wort – wir gehen nicht eher, als bis Sie uns die Erlaubnis dazu geben.«
Roderick Marlow zögerte. Er starrte Francis an, maß den Jüngeren von oben bis unten. Lilly war überrascht, als er tatsächlich nickte und ans Bett seines Vaters trat.
Die anderen gingen zur Tür. Dr. Graves nahm den einen Arm ihres Vaters, sie den anderen und zusammen führten sie ihn zu dem Stuhl im Ankleidezimmer. Francis schloss die Schlafzimmertür hinter ihnen.
Als er Mr Haswell zu dem Polsterstuhl zurückführte, erinnerte Adam Graves sich an die versteckte Drohung, die Lady Marlow Roderick gegenüber geäußert hatte, als sie auf Adam's Grave waren. Hatte das irgendwie mit der gegenwärtigen Bedrohung zu tun? Hatte sie von dem neuen Testament gesprochen, von der unerwartet hohen Summe, die Sir Henry ihr ausgesetzt hatte? Wenn ja, war es kein Wunder, dass der Mann außer sich vor Wut war.
Adam zwang sich, ruhig zu bleiben und nachzudenken. Dann wandte er sich an Lillians Vater: »Mr Haswell. Wenn es stimmt, dass Sie einmal einen Mann von den Toten auferweckt haben, dürften wir Sie dann um eine Wiederholung bitten?«
»Ja wirklich, Haswell«, fuhr Mr Shuttleworth fort, »wenn Sie uns aus dieser unerquicklichen Situation rausholen, wäre ich Ihnen ewig dankbar.«
Lilly legte ihrem Vater eine Hand auf den Arm. »Wir kennen die Wahrheit, nicht wahr, Vater? Vielleicht wird es Zeit, dass wir zugeben, wie es wirklich war.«
Charles Haswell sah aus, als wolle er sich weigern, doch dann seufzte er. »Ich vollbringe keine Wunder. Das habe ich nie getan.«
»Aber die Kunde davon ist bis nach London und Oxford gedrungen«, beharrte Adam. »Es gehört zum Legendenschatz. Wie ich gehört habe, war damals Dr. Thomas Bromley anwesend und kann bezeugen, was geschehen ist. Er bestätigt, dass der Mann wirklich tot war.«
Haswell nickte. »Ich versuchte alles, was mir einfiel, aber nichts wirkte. Ich habe kein heimliches Wundermittel. Ich bin damals vor Verzweiflung auf die Knie gefallen und habe gebetet, dass er wieder aufwacht.« Haswell sah seine Tochter an, der die Tränen in den Augen standen. »Mein kleines Mädchen saß neben mir.«
Lilly nahm seine Hand. Sie hatte noch immer Tränen in den Augen.
»Vielleicht brauchen wir genau das jetzt wieder«, schlug Francis ruhig vor.
Charles Haswell sog heftig die Luft ein. »Ich muss zugeben, dass es lange her ist, seit ich das gemacht habe.«
Lilly, die noch immer seine Hand hielt, half ihrem Vater, neben dem Sessel niederzuknien. Francis schloss sich ihnen an und gemeinsam neigten die drei ihre Köpfe.
Adam blickte weiter geradeaus; er war zutiefst verlegen. Auch Mr Shuttleworth, der hinter ihm stand, wirkte, als sei ihm äußerst unbehaglich. Einen Moment lang begegneten sich ihre Blicke. Adam zuckte die Achseln. Er wollte sich neben den anderen hinknien, kam sich aber zu töricht vor bei diesem Gedanken. Da er sah, dass Shuttleworth stehen geblieben war und einfach die Augen geschlossen hatte, tat er es ihm nach.
Lilly, die neben ihrem Vater kniete, spürte, wie ihre Knie steif wurden, und nahm an, dass diese Haltung auch für ihren Vater zunehmend unbequem werden musste. Sie blickte zu ihm hinüber, doch seine Augen waren noch immer geschlossen und sein Gesicht still und in sich gekehrt vor Konzentration. Francis auf ihrer anderen Seite hatte ebenfalls die Augen geschlossen und die Stirn auf die gefalteten Hände gelegt. Als hätte er ihren Blick gespürt, sah er sie plötzlich an. In wortloser Übereinkunft erhoben sich beide und halfen Mr Haswell aufzustehen. Dann setzten sie ihn wieder auf seinen Sessel.
»Was geht hier vor?«, ertönte plötzlich Lady Marlows Stimme und erschreckte alle fürchterlich. Sie war
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