Das Geheimnis der Apothekerin
darunter.
»Lilly!«, brüllte Charlie. »Lilllllllieeeeeeeeeeeee!«
Sie fuhr herum und suchte mit den Augen das Dorf hinter ihr ab. Über den Dächern erhob sich ein schmaler Rauchfaden. Charlie kam wie ein Verrückter die Sands Road entlang zu ihr gelaufen.
Feuer. In der Nähe der Apotheke. Ihr Vater lag im Bett . O Gott, nein . Lilly rannte ihrem Bruder entgegen.
»Er verbrennt es, Lilly«, schrie Charlie. »Er verbrennt alles. Großvaters schöne Gefäße, alle zerbrochen!«
Lilly rannte.
Adam Graves bog um die Ecke und lief die High Street hinunter. Von einem kleinen Berg aus allerlei Gegenständen, die auf der Straße vor der Haswell-Apotheke aufgestapelt waren, stieg Rauch auf. Mortimer Allen stand auf der anderen Straßenseite und beobachtete das Ganze mit kalter Distanziertheit. John Evans trat gerade aus der Ladentür, warf einen Karton aufs Feuer, ging zurück und verschwand wieder im Laden.
Während Adam über das Kopfsteinpflaster hastete, sah er Mr Shuttleworth in seinem komischen, aufrechten Trab über den Dorfplatz rennen.
Plötzlich stand Bill Ackers vor Adam und blockierte ihm den Weg und die Sicht. »Halt.«
Er versuchte, um den bulligen Mann herumzugehen, aber Ackers hielt seinen Arm in eisernem Griff. »Bleiben Sie bloß stehen, Graves. Wenn Dr. Foster mitkriegt, dass Sie sich da eingemischt ham, geht's Ihnen schlecht.«
Ackers Kollege, genauso groß und stark wie er, hielt Shuttleworth fest. Der Wundarzt wehrte sich mit verrutschter Krawatte gegen seinen Griff und versuchte weiterzulaufen. Seine dunklen, besorgten Augen begegneten dem Blick von Graves. »Gütiger Gott im Himmel, tun Sie doch etwas, Graves«, rief er.
»Er kann nichts dagegen tun«, sagte Ackers. »Diesmal is Haswell echt in Schwierigkeiten. Die Gentlemen hier sind mit Papieren aus London gekommen.« Er nickte zu John Evans hinüber, der gerade mit einem Arm voll getrockneter Kräuter wieder aus dem Laden kam. »Der da in der komischen Uniform hat sie mir gezeigt. Hat alles seine Richtigkeit.«
»Foster hat Sie bezahlt«, sagte Adam. »Sie wussten, was heute passieren würde.«
»Ich tu bloß meine Pflicht. Hab schließlich für Ruhe und Ordnung zu sorgen, oder etwa nich? Un wenn Se nich dumm sin, halten Se sich genauso ruhig.«
Adam hörte auf, sich zu wehren, und trat einen Schritt zurück. Ackers ließ ihn los.
»Das war's. Jetzt gehen'se zurück in Ihre Praxis. Hier gibt's nichts mehr zu tun für Sie.«
Adam trat noch einen Schritt zurück, in den Schatten einer Linde auf dem Dorfplatz. Durch die Hitzewellen des Feuers und die schwarzen Rauchschwaden sah er Miss Haswell. Sie hielt einen dicken Folianten im Arm. Mit dem anderen versuchte sie, ihren Vater zurückzuhalten.
Ihre Blicke begegneten sich. Einen Augenblick leuchteten ihre Augen auf, doch als er bewegungslos stehen blieb, trübte sich ihr Blick. Schließlich wandte sie ihn ab. Adam wurde nur zu deutlich, dass es abermals geschah. Wieder war er ein Gefangener seiner Angst. Erstarrt. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel: »Herr im Himmel, hilf mir!«
Der Büttel trug ein großes, aus dem 18. Jahrhundert stammendes Gefäß mit dem Haswell-Wappen heraus. Als Adam das sah, schien ein Ruck durch seine Gestalt zu gehen. Mit schweren Schritten ging er, wie durch zähen Sirup, über das Kopfsteinpflaster und stellte sich John Evans in den Weg. Der Büttel erkannte ihn und zögerte. Seine harten Augen blitzten zornig. Mit starkem Waliser Akzent sagte er: »Arbeite ich Ihnen nicht schnell genug, oder was?«
»Bitte, hören Sie auf, Mr Evans – John. Die Vorwürfe, die Dr. Foster erhoben hat, sind ungerecht.«
»Ich dachte, Sie arbeiten für den Mann.«
»Ja. Aber ich kann beweisen, dass ein Mensch gestorben wäre, wenn Dr. Fosters Bestellung ausgeführt worden wäre.«
»Dann zeigen Sie den Beweis dem Chef.« Er wies mit dem Kinn auf Mortimer Allen, der auf der anderen Straßenseite stand.
»Nein, John. Ich zeige ihn Ihnen – einem Ehrenmann. Ihr Herr und meiner machen gemeinsame Sache. Möchten Sie wirklich die Lebensgrundlage – das Vermächtnis – eines Unschuldigen vernichten? Eines noblen Mannes, eines Apothekers?«
Evans zögerte. »Ich habe ein Schreiben mit zwei Klagen vorliegen, nicht nur die eine. Wollen Sie mir wirklich weismachen, dass beide unwahr sind? Dass … das da« – er deutete mit einer Wendung des Kopfes auf den Haufen zerbrochener Gegenstände vor sich – »ungerecht war?« Einen Augenblick sahen die grünen Augen des Mannes
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