Das Geheimnis der Apothekerin
schutzlos aus, flehten ihn förmlich an, das Gesagte zurückzunehmen, ihn freizusprechen von einer Schuld.
»Welche andere Klage?«, fragte Adam argwöhnisch.
»Dass eine Lillian Haswell, eine Frau, als Apothekerin gearbeitet und gegen das Gesetz verstoßen hat, indem sie Diagnosen stellte und Medikamente ausgab, ohne die gesetzliche Qualifikation dafür zu haben. Können Sie beweisen, dass auch diese Klage falsch ist?«
Wieder zögerte Adam, ganz im Bann der ernsten, aufrichtigen Augen des Mannes, der ihn unverwandt ansah. »Nein … das kann ich nicht.«
Mr Evans blinzelte.
»Aber das ist eine weit weniger schwerwiegende Anklage«, fügte Adam hinzu. »Sie erfordert auf keinen Fall eine so schwere Bestrafung. Kein Fall von gepanschter Arznei, niemandem wurde ein Schaden zugefügt. Ihr Vater war sehr krank – und sie hat ihm alle Ehre gemacht.«
Die Augen des Mannes leuchteten mit einem Mal verständnisinnig auf, als merke er, dass die Gründe für Graves' Einschreiten nicht rein professioneller Natur waren. Evans starrte ihn noch einen Moment lang an, legte ihm dann das große Gefäß in die Arme und wandte sich brüsk ab.
»Warum hören Sie auf?«, rief sein Auftraggeber ihm nach. »Wer hat gesagt, dass Sie aufhören sollen?«
»Wir sind hier weit über unsere Kompetenzen hinausgegangen. Ich habe genug getan.«
»Wir sind hier noch nicht fertig!«
»Doch.«
John Evans ging die Straße hinunter, die goldenen Quasten an seinem blauen Mantel bewegten sich im Takt seiner Schritte. Alles an ihm wirkte wahrhaft königlich. Adam Graves hegte keinen Zweifel daran, dass er soeben einem echten Gentleman begegnet war. Einem Mann, der es wert wäre, ihn näher kennenzulernen.
Evans' Vorgesetzter spuckte fast Feuer vor Zorn und sah aus, als würde er das traurige Werk am liebsten selbst vollenden. Doch dann schien ihm die wachsende Zahl von Zuschauern und die Tatsache, dass der bullige Konstabler sich mit seinem Kollegen zurückzog, bewusst zu werden und er folgte dem Büttel die Straße hinunter.
Adam stand da. Der Rauch brannte in seinen Augen und seinen Lungen. In den Armen hielt er das Gefäß. Er fühlte sich besiegt und nutzlos. Langsam ging er zu Miss Haswell, die ihm entgegenkam, als er sich ihr näherte. Die Tränen liefen ihr über die Wangen. Er suchte ihren Blick und streckte ihr den Krug hin. Es war ein Angebot. Sie nahm den Krug. Einen Augenblick lang hielten sie ihn beide fest. Dann ließ er los, drehte sich um und ging weg. Auch in seinen Augen standen Tränen, doch das war nur infolge des Rauches.
46
Die Vergangenheit ist nur der Anfang eines Anfangs …
… das Zwielicht der Dämmerung.
H. G. Wells
Viel war verloren. Aber es wäre noch viel mehr gewesen, wenn Dr. Graves nicht eingeschritten wäre.
Dennoch war Lilly nicht überrascht, als er zwei Tage später vor der Ladentür stand, Koffer und Arztkoffer in der Hand. Was sie überraschte, war, dass er seinen Oberlippenbart abrasiert hatte. Sie betrachtete das Fleckchen blasser, nackter Haut über seiner Lippe mit einem Gefühl beinahe mütterlicher Zärtlichkeit.
Er räusperte sich. »Wie Sie wissen«, begann er ruhig, »bin ich hierhergekommen, um herauszufinden, ob eine vorläufige Partnerschaft sich zu einer dauerhaften entwickeln könnte.« Er lächelte wehmütig. »Dazu kam es nicht.«
»Es tut mir leid«, flüsterte sie.
Er nickte. »Ich habe meine Partnerschaft mit Dr. Foster aufgekündigt. Zweifellos hätte er selbst unser Abkommen beendet, wenn ich ihm damit nicht zuvorgekommen wäre.«
»Ich werfe Ihnen nichts vor, weder diese Entscheidung noch den bewussten Tag.«
Er blickte zu Boden. »Es kommt eine Zeit, Miss Haswell, da muss ein Mann seine Niederlage eingestehen.«
Sie wusste, dass er nicht nur von seinem Beruf sprach. »Natürlich sollten Sie sich nicht das Kreuz auferlegen, mit Foster zu arbeiten, aber könnten Sie sich nicht selbstständig irgendwo niederlassen?« Sie wollte lächeln, aber ihr Lächeln geriet etwas verzerrt. »Ich weiß, wo Sie sehr günstig an eine Wundarztpraxis kämen.«
»Vielen Dank. Aber dieses Dorf verkraftet keine zwei konkurrierenden Ärzte.«
»Will Foster sich denn nicht ohnehin zurückziehen?«
Er zuckte die Achseln. »Es spielt keine Rolle mehr. Ich gehe nach London.«
»Um dort zu praktizieren?«
»Nicht in einer privaten Praxis. Ich weiß jetzt, dass ich noch nicht so weit bin.« Er hob die Hand und brachte so ihre Einwände zum Verstummen, noch ehe sie sie aussprechen konnte.
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