Das Geheimnis der Apothekerin
eine Apotheke ist.«
Wieder spürte sie seinen fragenden Blick.
»Ich bin ein paar Mal zu ihm gegangen, wenn ich mich einsam gefühlt habe. Wenn ich mein Zuhause vermisst habe.«
»Ich bin überrascht, dass du Zeit hattest, Bedsley Priors zu vermissen.«
»Na ja, nicht nur das Dorf, natürlich auch meinen Vater. Und Charlie und Mary und … dich.«
Die Augen fest auf sie gerichtet, trat er einen Schritt vor. »Lilly …«
»Mr Baylor«, rief eine weibliche Stimme. Lilly schaute sich um und sah Miss Robbins. Sie stand auf dem Rasen vor dem Mühlengebäude und winkte und lächelte. »Gute Reise!«
Francis winkte rasch zurück und wandte sich dann wieder Lilly zu. Es tat ihr weh, als sie begriff, dass er Dorothea Robbins von seinen Plänen erzählt hatte, ihr jedoch nicht. Hatten die beiden vielleicht eine Abmachung? Sie spürte, wie ihr Kinn zu zittern begann.
»Wie auch immer«, sprach sie rasch weiter, entschlossen, nicht zu weinen, »der Name des Apothekers ist Lippert. Er und sein Sohn waren sehr großzügig, als ich Ratschläge für die Renovierung unserer Apotheke brauchte.« Sie blickte Miss Robbins nach, die wieder ins Haus ging. »Und er hat eine ganz entzückende Tochter.«
Er hob skeptische eine Braue. »Inwiefern ist das wichtig für mich?«
»Sie ist eine sehr hübsche, liebenswerte junge Frau, die für Apotheken schwärmt. Es gibt keinen Ort, an dem sie lieber leben möchte.«
Er runzelte die Stirn. »Und du willst, dass ich sie kennenlerne?«
Will ich das wirklich? Lilly zögerte. »Ja, wenn du in London bist und irgendwann einmal Sehnsucht nach einem freundlichen Gesicht hast.«
Er sah sie an und schüttelte langsam den Kopf. »Willst du das wirklich, Lilly? Dass ich in London eine charmante Frau finde und nie mehr zurückkomme?«
»Nein. Ich …« Sie war verlegen, verwirrt. Natürlich wollte sie, dass er zurückkam – allerdings nicht wegen Dorothea Robbins . Habe ich das Ganze vielleicht missverstanden? Hat Francis seine Aufmerksamkeit gar nicht wieder Miss Robbins zugewandt, nachdem ich ihn abgewiesen habe? Schüchtern fragte sie: »Hast du denn vor, zurückzukommen?«
Er stieß heftig die Luft aus. Auf einmal hatte er einen bitteren Zug um den Mund. »Ich weiß nicht. Nicht, wenn du nicht … das heißt …« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Genau deshalb wollte ich weggehen, ohne mich von dir zu verabschieden.« Er räusperte sich. »Lilly, ich weiß, dass Dr. Graves Arzt ist und dass er …«
»Komm schon, Francis!«, rief sein Cousin vom Kanalboot aus. »Wir müssen ablegen, und zwar schleunigst. Der Schleusenwärter in Reading geht vor acht Uhr schlafen!«
Francis hob beschwichtigend eine Hand und sah Lilly immer noch unverwandt an.
»Ich muss gehen.«
»Aber …«
»Francis! Wir können nicht mehr warten!«
Francis nahm Lillys Hand in seine so viel größeren Hände und drückte sie fest. »Ganz gleich, wie du dich entscheidest, ich hoffe, wir werden immer Freunde sein.« Dann drehte er sich um und sprang an Bord. Sofort legte das Boot ab.
»Schreib!«, rief sie, während das Boot sich langsam vom Ufer entfernte.
Doch sie wusste wohl, dass Francis nie ein großer Briefschreiber gewesen war. Seine arme Mutter hatte höchstens zu Weihnachten und zu ihrem Geburtstag einen Brief von ihm bekommen und auch das nur, wenn Lilly ihn daran erinnert hatte.
Langsam entschwand Francis ihrem Blick. Er hob noch einmal grüßend die Hand. Der Anblick war ein scharfer Schmerz in ihrer Brust. Ihre Augen füllten sich mit brennenden Tränen. Der Kanal hatte einen weiteren Menschen, der ihr am Herzen lag, entführt.
Sie fühlte sich beraubt, verwirrt und müde. Hatte er wirklich sagen wollen, was sie dachte – was sie hoffte ? Aber warum hoffte sie es, wo sie doch auf keinen Fall das Leben führen wollte, das Francis anstrebte? Trotzdem hoffte sie. Zu spät, das wurde ihr plötzlich klar. Doch was war mit Dr. Graves? Er war von zu Hause weggegangen und nach Bedsley Priors gekommen, um ihr den Hof zu machen. Hatte sie denn nicht eine Verpflichtung ihm gegenüber?
Sie stöhnte. Ihr Stöhnen war wie ein unausgesprochenes Gebet. Dann atmete sie tief ein, wieder aus, wieder ein. Pause. Sie schnüffelte. Erst vorsichtig, dann intensiver. Was war das für ein Geruch? Irgendwie süß und vertraut, aber zu komplex, um ihn zu identifizieren. Sie schloss die Augen und atmete noch einmal den seltsamen, süßen Geruch ein. Doch plötzlich mischte sich eine beißende Note
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