Das Geheimnis der Apothekerin
verstehe.«
»Warum so bedrückt? Das ist doch gut für uns. Habe ich dir nicht gesagt, dass es nicht gut ist, wenn ein Mann der Medizin krank wird? Es ist schlecht fürs Geschäft … und für die Patienten. Deshalb werde ich nie krank.« Er lächelte ihr zu, doch sie erwiderte das Lächeln nicht.
»Vielleicht sollte ich lieber hierbleiben, falls Francis oder Charlie mich brauchen.«
»Mrs Mimpurse ist schon auf dem Weg hierher. Komm jetzt. Du brauchst nur zwei Gefäße zu tragen. Sie müssen beim Fahren im Boot festgehalten werden, damit sie nicht kaputtgehen.«
Ihre angeborene Neugier war stärker als ihre Angst. »Was nimmst du denn mit?«
»Ich habe natürlich das traditionelle Gichtpulver eingepackt.«
Automatisch sagte sie sich die Inhaltsstoffe auf: Gewöhnliche Osterluzei, rote Enzianwurzel, Gamanderblätter und Tausendgüldenkraut .
»Abhängig von den Symptomen«, fuhr ihr Vater fort, während er seinen Paletot anzog, »muss ich möglicherweise jedoch etwas Stärkeres verschreiben.«
»James's Pulver?«, fragte sie.
»Das ist zu stark.«
»Gemischtes Ipecacuanha-Pulver?«
Er kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Meinst du …«
Opium, Pottassium Nitrat, vitriolisierten Weinstein, Lakritze, Ipecacuanha . Sie sagte ihm den alten Namen dafür: »Dover's.«
»Ah ja. Richtig. Ich habe beides.«
Lilly sah sich noch einmal um und rang dabei die Hände. »Ich könnte kleinere Mengen in Phiolen abfüllen, Vater, dann könntest du sie in deiner Tasche transportieren.«
»Ich möchte nicht noch später kommen.«
»Aber …«
Er sah sie scharf an. »Du fürchtest dich doch nicht etwa immer noch vor Sir Henrys Sohn, oder?«
»Nein. Jedenfalls nicht, so lange du bei mir bist.«
Mrs Mimpurse, vollbusig und energisch, war aus dem Nachbarhaus eingetroffen und scheuchte sie hinaus, glucksend wie eine Mutterhenne. Lilly kletterte in das Boot. Ihr Vater reichte ihr die klobigen Gefäße, ging dann um das Gefährt herum und stieg auf den Sitz neben ihr. Er trieb Pennywort, ihre Stute, in einen langsamen Trab und so fuhren sie durch die dunkle, stürmische Nacht den kurzen Weg zum Marlow House. Im Gegensatz zu seiner Tochter ging Charles Haswell nicht gern zu Fuß, vor allem nicht bei so ungemütlichem Wetter.
Lilly überlegte währenddessen, wie sie ihrem Vater von dem überraschenden Angebot erzählen konnte, das ihr Onkel ihr gemacht hatte, aber sie brachte kein Wort heraus. Nicht jetzt. Ohnehin würde das Heulen des Windes alles übertönen, was sie sagte. Sie würde später noch Zeit dazu finden, wenn sie wieder zu Hause waren und sie irgendwie den Mut aufbrachte, den Schmerz zu ertragen, den sie mit Sicherheit in den Augen ihres Vaters sehen würde, wenn sie ihm sagte, wie gern sie das Angebot annehmen würde.
Als sie ankamen, begrüßte sie Sir Henrys Butler, Mr Withers, und nahm ihnen die Mäntel ab. Dann führte er sie durch die große Halle die lange, geschwungene Treppe hinauf. Lilly folgte ihrem Vater und trug mit größter Vorsicht die beiden Keramikgefäße. Withers klopfte leise an eine Tür ganz am Ende des Flurs und öffnete sie auch gleich.
Sie gingen durch das Ankleidezimmer und betraten das Schlafzimmer. Der Baronet lag in einem Baldachinbett. Er hob den Arm und winkte ihnen ein schwaches Willkommen zu.
»Haswell, gut, dass Sie gekommen sind.«
»Selbstverständlich bin ich gekommen, Sir Henry. Und dies ist meine tüchtige Assistentin, Miss Haswell.«
Obwohl er sichtlich Schmerzen hatte, lächelte der grauhaarige Mann ihr höflich zu, wobei sich seine buschigen, silbergrauen Koteletten hoben. Sie wusste, dass der Baronet Mitte fünfzig war, doch er wirkte älter. »Ah ja, Ihre Tochter. Erfreut, Sie kennenzulernen.
Lilly knickste verlegen.
»Sehr hübsch«, sagte Sir Henry, wandte sich dann jedoch wieder ihrem Vater zu. »Sie wird ihrer Mutter immer ähnlicher, finden Sie nicht auch?«
Ihr Vater sah sie an und schaute schnell wieder weg. »Ja.«
Sir Henry betrachtete das abgewandte Gesicht ihres Vaters. »Noch immer keine Nachricht?«
Ihr Vater stellte seine Tasche ab und straffte sich. »Nein. Nun wollen wir aber sehen, was wir tun können, um Ihre Schmerzen zu lindern …«
Lilly wartete höflich ein Stück weit vom Bett entfernt, während ihr Vater den Baronet leise über seine Symptome befragte. Zwei Mal brachte sie ihm auf seine Bitte hin eine Phiole oder ein Instrument aus seiner Tasche und ein Mal füllte sie ein Wasserglas nach, das auf dem Nachttisch stand.
Bevor
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