Das Geheimnis der Apothekerin
während sie rückwärtsging. Es war wie ein langsamer, eleganter Tanz.
»Und vollbringen Sie ebenfalls Wunder, Lilly Haswell, wie ihr Vater es zu tun scheint?«
Sie zögerte und schüttelte dann den Kopf. »Nein.«
»Glauben Sie nicht an Wunder?«
»Doch.«
»Warum? Haben Sie nicht gebetet, dass Ihre Mutter zurückkehrt?«
Sie schluckte den schmerzhaften Knoten in ihrer Kehle hinunter. »Doch.«
»Und – ist sie zurückgekommen?«
»Noch nicht.«
Er lachte laut auf. »Sie hoffen immer noch?«
»Jeden Tag aufs Neue.«
Er blieb stehen. »Ein solcher Glaube … solche Inbrunst. Und nichts geschieht. Ist es da ein Wunder, dass ich überhaupt nichts glaube?«
»Sicher nicht. Aber sehr traurig, wenn es stimmt.« Sie war ebenfalls stehen geblieben.
»Wissen Sie, ich habe auch für meine Mutter gebetet. Aber das hat nicht verhindert, dass sie starb. Wo blieben damals die Wunder Ihres Vaters?«
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Wir können nicht mehr, als unser Bestes zu geben.«
»Und genau deshalb müssen wir uns in diesem Leben einfach nehmen, was wir wollen, Miss Haswell. Wir müssen selbst unseren Weg gehen und nicht darauf warten, dass ein fetter, glatzköpfiger Engel uns das, was wir wollen, auf einem Silbertablett serviert.« Er hob die Kerze und sah sie eindringlich an. »Habe ich Sie schockiert?«
»Ja – wie es zweifellos Ihre Absicht war.«
Er lachte erneut. »Das stimmt, im Schockieren bin ich gut. Wohingegen mein Vater gut darin ist … sich einzuschmeicheln. Und Ihrer ist ein Heiler oder Heuchler – da bin ich nicht ganz sicher. Und Sie, Miss Lilly Haswell, was sind Sie?«
Als sie zögerte, grinste er und wandte sich mit einer wegwerfenden Bewegung ab, als erwarte er von einem verängstigten Mädchen keine Antwort.
»Ein Erinnerer.«
Er drehte sich um und betrachtete ihr Gesicht im flackernden Licht – überrascht vielleicht, von dem feierlichen Ernst in ihrem Gesicht.
»Inwiefern?«, fragte er. Das Grinsen war verschwunden.
Sie schluckte und antwortete leise: »Ich erinnere mich an alles, ob ich es will oder nicht.«
Sie starrten einander an. Wieder trat er einen Schritt näher. Plötzlich ging am anderen Ende des Korridors, von wo sie gekommen war, eine Tür auf. Er packte ihr Handgelenk und zog sie durch eine schmale Tür, die sie gar nicht gesehen hatte. Sie sog scharf die Luft ein, schrie aber nicht.
»Dieses alte Haus ist voller Geheimgänge und Falltüren«, flüsterte er und führte sie im Licht der Kerze einen engen, dunklen Gang entlang.
»Wo bringen Sie mich hin?«
»Sie sagten doch, dass Sie die Küche suchten.«
Er stieß eine Holztür auf und blieb kurz stehen, um eine Lampe anzuzünden, die oben auf dem Absatz einer steilen Treppe stand. Lilly, die allmählich Angst bekam, weil sie ganz allein mit ihm war, ging um ihn herum und stieg die Treppe hinunter, obwohl sie auf diese Weise kaum etwas sah. Unten stand sie dann vor einer Tür und mühte sich ab, den Riegel zurückzuschieben, was ihr jedoch nicht gelang. Als sie sich umdrehte, stand er dicht vor ihr.
»Er klemmt manchmal.« Doch er machte keine Anstalten, ihn zu öffnen. Stattdessen hob er die Kerze dichter an ihr Gesicht. Seine Augen schimmerten seltsam im Kerzenlicht, das rechte Augen schien dunkler zu sein als das linke.
»Wissen Sie, Lilly Haswell«, sagte er leise, »Sommersprossen hin oder her – Sie könnten eines Tages sehr gut aussehen.«
Er griff um sie herum und gab dem Riegel einen Stoß. Dabei berührte er mit der Hand fast ihr Kreuz. Sein Gesicht war dicht vor dem ihren.
Lilly, die spürte, wie sich die Tür hinter ihr öffnete, und wusste, dass sich dahinter ein helles Feuer und die zutiefst vernünftige Mrs Tobias befanden, schenkte ihm ein süßes Lächeln und sagte: »Damit würde dann wenigstens einer von uns gut aussehen.«
Damit trat sie rückwärts in die Küche. Doch als sie sich umsah, erstarrte ihr triumphierendes Lächeln. Die Küche war leer, im Herd nur noch Glut.
Mit zwei Schritten stand er vor ihr, seine Augen blitzten zornig. Sie tat einen großen Schritt rückwärts, er einen vorwärts.
»Lilly?« Ihr Vater betrat die Küche und Roderick blieb abrupt stehen.
»Ach, du bist es, Vater! Du hast mich erschreckt.«
»Ja?« Er blickte von ihr zu Roderick und runzelte die Stirn, als er sah, wie dicht der junge Mann vor ihr stand.
»Ist alles … in Ordnung?«
Sie schluckte. »Absolut. Meine Kerze ging aus, aber Mr Marlow hat freundlicherweise eine andere angezündet
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