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Das Geheimnis der Apothekerin

Das Geheimnis der Apothekerin

Titel: Das Geheimnis der Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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bot ihr seinen linken Arm, mit dem rechten drückte er noch immer Lillys Hand an seine Seite. Miss Powell nahm dankend an. So wurde Lilly zum Dinner geleitet. Dabei hatte sie das Gefühl, als sei sie das sprichwörtliche Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde.

21

    Reden wir nicht länger von Ragouts und Braten,
auch wenn der ganzen menschlichen Geschichte Taten
zeigen, dass das Glück der Menschen – oh hungrige Sünder! –,
seit Eva Äpfel aß, abhing vom Stopfen ihrer Münder.
    Lord Byron
    Der Abend verlief angenehmer, als Lilly erwartet hatte. Roderick Marlow war ein höflicher Gastgeber und verwickelte alle Anwesenden in ein angeregtes Gespräch, das von der Londoner Saison über Mode, Literatur und Politik bis zum Krieg mit Frankreich reichte. Auch Roger Bromley war ein Meister der Konversation. Es gelang ihm, Lilly und Susan gleichermaßen Komplimente zu machen, sodass Susan Whittier beim zweiten Gang sowohl Roger als auch Lilly mit echter Wärme anlächelte. Miss Whittiers Anstandsdame aß schweigend, war aber für eine so winzige Frau geradezu gefräßig. Toby Horton trank zu viel und tat seine Meinungen zu laut kund, doch ansonsten verlief das Dinner sehr zufriedenstellend. Sogar die rothaarige Cassandra Powell versuchte, Interesse an den anderen zu zeigen – gerade so, als sei sie bereits die Herrin von Marlow House.
    Das Essen selbst war sehr viel besser als all die schlichten Mahlzeiten – Suppen, Eintöpfe, Fleisch- und Nierenpasteten –, die Lilly seit ihrer Rückkehr gegessen oder vorgesetzt bekommen hatte, ja sogar besser als bei den meisten Dinners, die sie in London besucht hatte. Zum ersten Gang wurden Erbsensuppe, Rotbarschfilet mit Sauce Hollandaise, Kalbsbraten mit Erbsen und Lammkoteletts mit Gurkensalat gereicht. Der zweite Gang bestand aus Wildbret, gekochtem Kapaun in weißer Soße, geschmorter Rinderzunge und Gemüse. Es folgte ein dritter Gang, bestehend aus Hummersalat, Himbeer- und Johannisbeertarte, Erdbeeren mit Sahne, Schaumgebäck und geeistem Pudding. Lilly nahm nur winzige Portionen von den Platten, die dicht vor ihr standen, aber sie konnte trotzdem nicht alles, was auf ihrem Teller lag, aufessen. Einmal machte sie zwischendrin Pause und führte die Leinenserviette an ihre Lippen.
    »Ist das Menü nach Ihrem Geschmack, Miss Haswell?«, fragte Roderick Marlow und hob sein Glas.
    »Ja, Sir. Mrs Tobias ist eine ausgezeichnete Köchin. Ich habe während meines ganzen Aufenthalts in London nie besser gegessen.«
    Roderick Marlow senkte dankend den Kopf.
    »Und wie lange waren Sie in London?«, fragte Miss Powell. »Vierzehn Tage?«
    Lilly ignorierte ihre Herablassung. »Anderthalb Jahre.«
    »Miss Haswell hat bei ihrem Onkel und ihrer Tante, Jonathan und Ruth Elliott, gelebt«, sagte Roger Bromley freundlich. »Nette Leute, Freunde meiner Eltern.«
    Sogar Susan Whittier ließ sich dazu herbei, etwas Nettes zu sagen: »Miss Haswell war befreundet mit den Price-Winters, Cassandra. Du warst mindestens ein Mal in ihrem schönen Haus zu Gast.«
    Miss Powell nickte leicht, nippte jedoch nur an ihrem Glas, ohne zu antworten.
    Als die Damen sich zurückzogen, damit die Männer Gelegenheit hatten, ihren Port zu trinken und zu rauchen, ging Miss Powell ihnen voran in den Salon. Lilly folgte zögernd, aber es wäre unhöflich gewesen, sich den Damen nicht wenigstens für kurze Zeit anzuschließen. Miss Powell ging sofort ans Klavier und ließ sich anmutig auf der Bank nieder. Sie spielte einen perlenden Lauf und begann dann mit der Darbietung eines höchst dramatischen Stückes. Susan Whittier folgte dem Beispiel ihrer Anstandsdame und setzte sich auf eines der Sofas. Sie nahm ein Buch auf, das auf der Lehne lag, legte es aber rasch wieder hin. Sie und Lilly lächelten sich verlegen an. Es war schwierig, sich über die Musik hinweg zu unterhalten, doch Lilly setzte sich auf einen Stuhl neben Susan und versuchte es trotzdem.
    »Ihr Kleid ist wunderhübsch«, sagte sie und bewunderte das Abendkleid aus weidengrünem Crepe, dessen Saum mit Gazeblumen besetzt war.
    »Finden Sie? Als ich sah, dass Cassandras Seidenkleid ebenfalls grün ist, dachte ich schon, wir würden entsetzlich nebeneinander aussehen.«
    »Es ist wunderschön, wirklich.«
    Miss Whittier lächelte befriedigt. »Danke.«
    Lilly fand beinahe, dass Susan eine angenehme junge Frau war, wenn sie nicht gerade eifersüchtig, gereizt oder gelangweilt war. Jedenfalls hoffte sie es, um Rogers willen.
    Susan beugte sich näher zu

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