Das Geheimnis der Apothekerin
anzufangen. Aber sie hat sich ganz gut gefangen.«
Lilly schloss das Kontobuch und erinnerte sich. »Ich bin deiner Schwester nur ein einziges Mal begegnet, aber sie hatte ein sehr angenehmes Wesen und sehr gute Manieren. Und sie war ziemlich hübsch.«
»Findest du?« Er grinste. »Du hast gesagt, dass ich ihr ähnlich sehe.«
Sie beschloss, das zu ignorieren, auch wenn es stimmte. Ihre Eltern fielen ihr ein und sie fragte: »Weiß Mr Billings, dass sie eigentlich einen anderen geliebt hat?«
»Er weiß es, sieht aber großzügig darüber hinweg. So ist das mit der Liebe, nehme ich an.«
»Ja? Ich bin nicht sicher, ob ich genauso verständnisvoll wäre, wenn der Mann, den ich liebe, eine andere liebt.«
Seine Beine hörten auf zu baumeln. »Hast du … ich meine … hast du dich in jemand verliebt, als du in London warst?«
»Nur zwei Mal.«
Seine Brauen hoben sich.
»Beides war zu Ende, noch bevor ich London verließ. Und ich bezweifle, dass noch etwas daraus wird, selbst wenn ich nach London zurückkehre.«
Er sah sie erwartungsvoll an.
»Der eine war Arzt, aber meine Tante war dagegen. Er war sehr schüchtern und unsicher. Trotzdem, vielleicht wäre … Der andere war ein Gentleman, den meine Tante mir dringendst ans Herz gelegt hat. Wohlhabend, ein Erbe, gut aussehend, sehr nett …«
»Kein Wunder, dass du den gelackten Typ nicht wolltest«, meinte Francis. »Ich verabscheue ihn schon jetzt.«
Lilly schenkte ihm ein ironisches Lächeln. »Nein, ich habe ihn abgewiesen, weil er mich zwar bewundert, aber nicht geliebt hat.«
Francis sah sie an und sagte leise: »Das hätte er aber, mit der Zeit.«
Sie begegnete einen Moment lang seinem Blick, überlegte und fuhr fort: »Vielleicht – wenn er nicht eine andere geliebt hätte.«
»Besteht denn keine Aussicht, dass die andere seinen Antrag annimmt?«
»Doch, ich glaube schon. Wenn sie glaubt, dass sie ihn nicht bekommen kann.«
»Ach … so«, sagte Francis. »Das habe ich schon mal erlebt, dass jemand nicht merkt, was er hat, bis er – oder sie – es verloren hat.«
Lilly nickte nachdenklich und sah sich im Laden um. »Jetzt ist es wie früher, als wir beide hier zusammensaßen und uns fragten, wo Charlie wohl steckt und was er wohl gerade zählt. Oder wir rätselten, wo die Kunden wohl blieben, und waren doch froh über die Atempause.«
Francis spann den Faden weiter. »Dein Vater hielt im Behandlungszimmer ein Schläfchen oder schimpfte über irgendetwas, das ich vergessen hatte zu destillieren.«
»Und du hast mich die ganze Zeit geneckt. Wir waren wie Bruder und Schwester. Ich werde es nie vergessen.«
»Ich frage mich«, sagte er sanft, »ob du dich wirklich erinnerst, Lilly.«
Sie runzelte die Stirn. »Natürlich erinnere ich mich.«
»Ich meine, richtig?«
Sie legte den Kopf schief und sah ihn an. »Ich glaube zwar auch, dass mein Gedächtnis eines Tages nachlassen wird, aber bis jetzt leide ich noch nicht unter altersbedingtem Gedächtnisverlust.«
Er sprang von der Theke, kam zu ihr und sagte: »Ich glaube, du und ich haben diese Zeit unterschiedlich in Erinnerung. Du konntest nicht schnell genug von hier wegkommen, als sich dir die Chance bot, aber für mich war es schlimm, als diese Zeit vorbei war. Ich weiß noch, wie es mit dir war … wir lebten zusammen unter einem Dach, aßen zusammen, redeten und lachten zusammen.« Er sah ihr fest in die Augen. »Es war eine der glücklichsten Zeiten meines Lebens.«
Charlie kam herein. Hinter ihm fiel laut die Tür ins Schloss. Lilly löste ihre Augen von Francis, um Charlie zu begrüßen, der ihr einen Arm voll Pfefferminze zum Bündeln und Trocknen brachte. Francis ging zur Tür; er wollte gehen.
Die Hand auf der Klinke, drehte er sich noch einmal um und sah sie an. »Und ich habe an dich nie wie an eine Schwester gedacht.«
Lilly stand zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr aus London wieder auf der Honeystreet Bridge. Sie war zwar schon mehrmals darübergegangen, aber nie stehen geblieben. Doch jetzt konnte sie nicht mehr anders. Ihr war, als würde sie in dem langsam fließenden Wasser des Kanals Antworten finden. Sie wusste, dass sie eine Entscheidung treffen musste, so schwer ihr das auch fiel. Der letzte Brief ihrer Tante hatte sie in einen tiefen Gewissenskonflikt gestürzt. Tante Elliott hatte geschrieben und gefragt, ob Lillian noch rechtzeitig zum alljährlichen Ball der Langtrys zurückkommen würde.
Vergiss nicht das neue Kleid, das wir für diese Gelegenheit
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