Das Geheimnis der Apothekerin
meinen Entschluss versteht, so schmerzhaft er auch für euch ist. Auch die vielen Kosten, die ihr meinetwegen hattet, und die Sorgen, die ich euch gemacht habe, tun mir sehr leid, aber zumindest ich kann sie nicht als vergeblich, als Verschwendung sehen. Die Monate bei euch und mit euch werden für immer ein kostbarer Schatz in meiner Erinnerung und in meinem Herzen sein. Ich habe das Lernen und die Unterhaltungen, die ihr mir geboten habt, sehr genossen, aber das Schönste für mich war, dass ihr mich wie ein Familienmitglied aufgenommen habt. Ich liebe euch beide und werde euch immer lieben.
Christina P-W werde ich selbst schreiben, aber grüßt bitte unsere anderen Bekannten von mir – welche, das wisst ihr selbst am besten.
In Liebe und großer Dankbarkeit
Lillian
An Dr. Graves schrieb sie nicht. Sie wusste, dass es sich für eine unverheiratete Frau nicht schickte, einem Mann zu schreiben, der nicht zur Familie gehörte, es sei denn, sie war mit ihm verlobt. Hätte Dr. Graves gefragt, hätte ihr Onkel ihm vermutlich erlaubt, ihr zu schreiben, auch wenn ihre Tante nicht einverstanden gewesen wäre. Doch als die Wochen verstrichen, ohne dass ein Brief von ihm eintraf, wurde ihr klar, dass Dr. Graves keine Fortsetzung ihrer Beziehung wünschte, ungeachtet jener Nachfrage nach ihr, die ihre Tante erwähnt hatte. Lilly hatte das zwar erwartet, aber sein Schweigen tat ihr trotzdem weh.
Sie schrieb an Christina, gratulierte ihr zur Verlobung und bat sie, ihrer Familie ihre besten Wünsche und Glückwünsche auszurichten. Sie wusste, dass Christina nicht mit ihr in Kontakt bleiben würde. So viel Spaß sie auch zusammen gehabt hatten, ihre Freundschaft war nicht so tief wie die zwischen ihr und Mary. Doch deshalb dachte sie nicht schlecht von Christina. Aus den Augen, aus dem Sinn, so hieß es doch, und in Lillys kurzer Erfahrung war dies eine Regel, die die übrige Welt ohne Mühe befolgte. Manchmal wünschte sie, sie könnte das Gleiche tun.
23
Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen
Admiral Horatio Nelson
Lilly bat Charlie, die abblätternde Farbe vom Rahmen des vielfach unterteilten Ladenfensters abzukratzen. Er schien die langweilige Arbeit mühelos zu bewältigen. Sie kaufte beim Eisenhändler in Huntley's Yard frische Farbe und stand am nächsten Morgen früh auf, um das Fenster neu zu streichen. Als sie fertig war, taten ihr die Arme weh von der Anstrengung, aber sie empfand tiefe Zufriedenheit darüber, dass sie es selbst geschafft und so Geld gespart hatte, das sie dringend für die Renovierung des Ladens brauchte.
An den meisten Vormittagen arbeitete sie mit Charlie zusammen im Kräutergarten. Sie ernteten so viele Blumen, Samen und Wurzeln, wie sie nur konnten. Die Blumen hängten sie zum Trocknen mit den Köpfchen nach unten auf dem Dachboden und an den Deckenbalken im Laden auf, die Wurzeln, die sie gleich benötigten, wurden zermahlen, der Rest kam in den Keller. Wenn die Ladenglocke erklang – leider immer noch ein viel zu seltenes Ereignis –, ließ Lilly ihre Gartenarbeit sofort im Stich und lief in den Ladenraum. Im Laufen wischte sie sich noch schnell die Hände an der Schürze ab und fragte sich dabei beunruhigt, was der Kunde wohl brauchte. Irgendein Rat, eine Rezeptur für eine Alltagsmedizin – Kopfschmerzpulver, Abführmittel, Pomade, Gesichtscreme, Zahnschwämme und dergleichen – waren kein Problem. Doch wenn jemand, insbesondere ein Mann, einen medizinischen Rat wollte, fühlte sie sich sofort mehr als unsicher.
»Mr Haswell ist gerade mit einem Kunden beschäftigt«, sagte sie dann gewöhnlich, »aber ich gehe kurz zu ihm hinein und frage ihn, was er empfehlen würde.« Dann fragte sie ihren Vater: »Was würdest du gegen Mr James' Rheumatismus empfehlen?« Normalerweise versuchte er in diesem Fall, sich aufzurichten, stellte noch ein paar Fragen und gab ihr einen vernünftigen Rat. Aber wenn er nicht dazu in der Lage war, tat sie trotzdem so, als hätte er ihr geantwortet. »Ja, die gleichen Symptome wie immer. Meinst du, er sollte bei Burridges Spezialmedizin bleiben oder etwas anderes versuchen? Gut, ich sage es ihm …«
Glücklicherweise hatte sie bei den wenigen Krankheiten, mit denen sie es bis jetzt zu tun bekommen hatte, immer gewusst, was sie geben musste. Meistens kamen sowieso Patienten, die sie schon seit Jahren kannte. Sie wollte niemandem schaden, aber sie wollte auch keinen Kunden zu Mr Shuttleworth oder Dr. Foster schicken, wenn es nicht
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