Das Geheimnis der Apothekerin
Mundwinkel zuckten, seine braunen Augen funkelten vor Übermut und Sehnsucht.
Ihre Augen hingen wie gebannt an seiner vollen Oberlippe. Sie spürte den schockierenden Wunsch, sie mit ihren eigenen Lippen zu berühren! Woher kam dieses Gefühl? Gott sei Dank konnte er ihre Gedanken nicht lesen!
Ich bin ihm einfach nur dankbar , beschwichtigte sie sich selbst. Wenn Tante Elliott schon einen Arzt missbilligt hat, wie entsetzt wäre sie da erst, wenn sie erführe, dass ihre Nichte sich von einem Apothekergehilfen angezogen fühlte!
Die Ladenglocke ertönte. Sie trat verlegen einen Schritt zurück und brachte auf diese Weise eine angemessene Distanz zwischen sich und ihn.
Am nächsten Morgen öffnete Lilly die Tür der Kaffeehaus-Küche und schaute hinein. »Hallo, Mary!«
»Komm rein, Lill. Ich stecke leider bis zu den Ellbogen in Mehl.«
Lilly ging zum Arbeitstisch.
»Ich würde ja anbieten, dir zu helfen, aber ich weiß, wie du über meine Fähigkeiten in der Küche denkst.«
»Da hast du recht. Du mit deinen komischen Apothekergewichten und Maßen und dann unsere Rezepte …« Sie tat so, als schauderte sie.
Lilly lächelte, setzte sich hin und betrachtete das Sammelsurium von Schüsseln, die mit den verschiedensten Zutaten gefüllt waren. »Ein Kuchen?«
Mary nickte. »Aber nicht einfach nur irgendeiner. Ein Reiche-Braut-Kuchen!«
»Und wer ist die reiche Braut?«
Mit einem Blick auf die Tür zur Spülküche beugte Mary sich über den Arbeitstisch und flüsterte: »Eine Miss Cassandra Powell.«
Lilly spürte unvermittelt einen Stich des Bedauerns. Sie hatte Roderick Marlows Aufmerksamkeiten richtiggehend genossen, so flüchtig sie auch gewesen waren.
Natürlich hatte sie gewusst, dass er sie niemals um ihre Hand bitten würde, aber jetzt war sie dennoch enttäuscht. Miss Powell war ihr einfach unsympathisch. »Na ja, ich sollte eigentlich nicht überrascht sein. Mr Marlow deutete an, dass sie heiraten würden.«
Mrs Mimpurse platzte herein. Sie kam aus dem Gästeraum. Ihr Gesicht war ganz rot vor Aufregung. »Mädchen, das ist vielleicht eine Überraschung! Ihr werdet es nicht glauben. Die schöne Miss Powell wird heiraten …«
»Ja, Mama. Ich habe Lilly gerade erzählt, dass sie einen Kuchen bestellt haben.«
»Aber wir haben uns geirrt, Mary!«
Mrs Mimpurse trat ganz dicht zu ihnen und flüsterte: »Miss Powell heiratet einen Marlow, so viel ist richtig. Aber nicht Roderick, wie wir gedacht haben. Sie heiratet Sir Henry selbst!«
»Nein!« Marys kleiner Mund blieb offen stehen.
»Wie konnte das denn kommen?«, fragte Lilly fassungslos. »Ich habe sie in London und bei der Gesellschaft im Herrenhaus zusammen gesehen. Und als ich mit Roderick Marlow sprach, hatte ich den Eindruck, er würde sie heiraten.« Er hatte es zwar nicht ausdrücklich gesagt, doch was er sagte, war deutlich genug gewesen.
»Vielleicht wollte er und sie hat ihn abgewiesen«, schlug Mary vor. »Warum Mrs Marlow werden, wenn man Lady Marlow werden kann?«
»Aber Sir Henry muss an die sechzig sein«, gab Lilly zu bedenken. »Und er ist nicht gerade in bester gesundheitlicher Verfassung.«
»Trotzdem ist er ein charmanter Mann«, meinte Maude. »Er war immer so freundlich und aufmerksam zu der ersten Lady Marlow.«
»Armer Roderick!«, sagte Lilly.
»Armer Roderick?«, wiederholte Mary verwundert. »Ich hätte nie gedacht, dass ich diese beiden Wörter zusammen von dir hören würde, Lilly Haswell!«
Das überhörte Lilly. »Ich frage mich, ob es ihm das Herz gebrochen hat.«
»Du gibst also zu, dass er ein Herz hat?«
»Natürlich hat er das, Mary«, sagte Mrs Mimpurse.
Lilly meinte: »Ja, aber eines, das eisigster Kälte und auch echter Wärme fähig ist.«
»Wie warm?« Mary zog eine Braue hoch.
Lilly spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, und fragte schnell: »Wann soll der große Tag denn sein?«
»Donnerstag«, antworteten Mary und ihre Mutter unisono.
Lilly schüttelte den Kopf. »Eine reiche Braut – wirklich. Oder jedenfalls wird sie es in zwei Tagen sein.«
Mrs Mimpurse ging mit einer frischen Kanne Kaffee zurück in den Gastraum und Mary arbeitete weiter. Sie sprengte eine Flüssigkeit auf die Mandeln, die sie ganz fein gemahlen hatte.
»Was ist das?«, fragte Lilly.
»Orangenblütenwasser.«
Mary überließ die Mandeln wieder sich selbst und fing an, eine Schüssel voller Eidotter zu verquirlen.
Lillys Augen wanderten über den Arbeitstisch. »Wo ist das Rezept?«
Mary zuckte die Achseln.
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