Das Geheimnis der Apothekerin
»Muss hier irgendwo sein. Könntest du bitte diese kandierten Zitrusschalen für mich schneiden?«
»Wie dünn?« Lilly nahm ein Messer und machte einen Probeschnitt.
»Ja, genau so. Aber schneide dich nicht!«
»Ja, Mama.«
Mary zögerte und blickte vorsichtig zu ihr hinüber. Lilly zog ein lustiges Gesicht, überrascht, dass sie diesen Scherz machen konnte, ohne wie sonst einen Stachel des Verlusts zu spüren.
Erleichtert sagte Mary: »Die Marlows wollen ganz sicher nicht dein Blut in ihrem Kuchen haben.«
»Das glaube ich auch. Was kriegt eine reiche Braut denn in ihren Kuchen?«
»Fünf Pfund feinstes Mehl; fünf Pfund Johannisbeeren; drei Pfund frische Butter; zwei Pfund Hutzucker; ein Pfund süße Mandeln; ein halbes Pfund kandierte Zitronen-, Orangen- und Limonenschale; sechzehn Eier; je hundertfünfzig Milliliter Wein und Brandy; zwei Muskatnüsse; eine Viertelunze Muskatblüte und eine Prise Nelken. Und zwei Schichten Mandel- und Zuckerguss.«
»Das kann man wirklich als reich bezeichnen.«
»Allein die Zutaten kosten zehn Pfund.«
Lillys Augen wurden weit und sie schob sich ein Stück Orangenschale in den Mund.
Wieder hob Mary die Brauen. »Jetzt sind es zehn Pfund und zwei Pence.«
»Das war doch nur eine Viertelunze !« Lilly nahm sich eine Johannisbeere. »Was ist eine Viertelunze überhaupt?«
»Ein Teelöffel voll oder vierzehn Milliliter, wenn man sich die Mühe machen will abzumessen.«
Zwei Quäntchen . Lillys Gehirn kam automatisch auf das Apothekersystem zurück, das auf zwölf Unzen pro Pfund und acht Quäntchen pro Unze basierte. »Und du brauchst kein Rezept?«, fragte sie noch einmal.
Mary zuckte die Achseln.
»Aber so oft machst du diesen Kuchen doch auch wieder nicht.«
»Nein, das nicht. Den letzten habe ich zur Taufe des Robbins-Jungen gemacht.« Mary sah sie spitzbübisch an. »Damals habe ich ihn natürlich Taufkuchen genannt.«
»Wie kannst du dich an alles erinnern – nicht nur daran, was hineinkommt, sondern die ganze Zubereitung?«
Mary drückte das Kinn auf die Brust. »Von dir hätte ich diese Frage am allerwenigsten erwartet.«
Lilly lachte leise. »Was das anbelangt, scheinen wir einander sehr ähnlich zu sein.«
»Ja. Aber meine Mixturen retten niemandes Leben.«
Grinsend stibitzte Lilly noch eine Johannisbeere und steckte sie sich in den Mund. »Ach, da wäre ich nicht so sicher.«
26
HUNDEBISSE
Die Wunde so lange wie möglich offen halten. Zu diesem Zweck kann man ein paar Bohnen darauflegen und dann einen Leinsamenumschlag machen.
Mrs Beeton's Book of Household Management
Da ihre Schürze und ihre Handschuhe bereits von der Reinigung des Küchenherds und des Destillierkolbens schwarz waren, beschloss Lilly, auch gleich noch den Kamin im Laden zu säubern. Sie dachte an ihre letzte Begegnung mit Francis und daran, wie er ihr bei Mrs Hagar geholfen hatte, und merkte, dass sie sich früher nie so nervös, so … so weiblich in seiner Gegenwart gefühlt hatte.
Als sie sich vor dem Kamin hinkniete, hörte sie draußen einen Hund bellen. Zuerst dachte sie sich nichts dabei, doch das Bellen wurde immer lauter und wütender.
»Platz, habe ich gesagt!«, hörte sie einen Mann mit offensichtlich falschem Mut sagen, »Platz!«
Sie eilte zum Ladenfenster und schloss die Tür in genau dem Moment auf, in dem ein Mann sich mit aller Kraft dagegen warf, sodass er beinahe in den Laden gefallen wäre und sein Hut über den Boden schlitterte. Sie streckte die Hände aus, um den Ankömmling vor dem Sturz zu bewahren, aber auch, um zu verhindern, dass er mit voller Wucht mit ihr zusammenprallte.
Der Wolfshund der Fowlers versuchte, sich hinter dem Mann in den Laden zu drängen, doch Lilly schlug dem struppigen Geschöpf die Tür vor der spitzen Schnauze zu. Der Hund stellte sich vor dem Fenster auf die Hinterbeine und bellte wie verrückt weiter.
»Geh nach Hause, Bones«, rief sie, »geh nach Hause!«
Der graue Hund winselte, ließ sich aber schließlich wieder auf alle Viere hinunter und trottete davon.
Lilly wandte sich vom Fenster ab, um Bones' jüngstes Opfer zu betrachten, und fuhr zusammen.
»Dr. Graves!« Sie war maßlos erstaunt, ihn wiederzusehen, zumal hier in ihrem Laden.
Er räusperte sich. »Miss Haswell.« Er verbeugte sich automatisch und sie knickste etwas verspätet. Beide griffen gleichzeitig nach dem auf dem Boden liegenden Hut, sodass sie beinahe mit den Köpfen zusammengestoßen wären.
»Verzeihung.« Sie richtete sich auf. »Oh –
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