Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Die Kapelle lag mitten im Wald. Wenn es je eine große Lichtung um das Gebetshaus gegeben hatte, dann war davon nur noch ein schmaler unbewachsener Streifen rings um die Kapelle übrig geblieben. Der Verschlag an der Seitenwand des Gebäudes, der als Scheune und Stall für die Pferde diente, war offenbar erst in jüngster Zeit angebaut worden und schien keinen Zugang zur Kapelle zu besitzen.
Zwischen den dicht stehenden Bäumen um das Gebetshaus führte ein Trampelpfad vom Eingang der Kapelle weg, zu schmal für einen Karren. Doch in welche Richtung er verlief, ob zum nächsten Gehöft oder tiefer in den Wald hinein, war nicht auszumachen. Das nächste Dorf konnte ebenso gut eine wie auch viele Wegstunden entfernt liegen.
Da Peppin, augenscheinlich der jüngste der Söldner, jeden Morgen mit zwei Kübeln ausgeschickt wurde und mit frischem kühlen Wasser zurückkehrte, vermutete Garsende, dass es in der Nähe einen Bach geben musste. Sein Plätschern war draußen vor der Kapelle jedoch nicht zu hören.
Einzig die Himmelsrichtungen konnte sie bestimmen und die Stunden, die so zäh vergingen.
Sich des Nachts heimlich am Lager der Söldner vorbei hinauszustehlen war ein weiterer Gedanke, den Garsende schweren Herzens aufgegeben hatte. Auch in der Nacht hielten sie Wache und lösten sich zu jeder Hore ab.
»Du musst allein fliehen. Allein würde dir eine Flucht gewiss gelingen. Und bist du erst frei, kannst du mir Hilfe schicken«, drängte Matthäa zu jeder Gelegenheit, und in schwachen Augenblicken hatte Garsende darüber nachgedacht. Doch jedes Mal, wenn sie erwog, ob ihr eine Flucht allein gelingen könnte, genügte ihr ein Blick in Matthäas Augen, in der sich Furcht und wachsende Verzweiflung wie ein dunkles Gespenst eingenistet hatten, um den Gedanken fallen zu lassen. So sehr Garsende auch um ihr eigenes Leben fürchtete, brachte sie es doch nicht über sich, die Freundin allein bei diesen Männern zurückzulassen.
»Du träumst wohl schon davon, mich heut’ Nacht zu wärmen, was?«, riss Hunfrits raue Stimme sie aus ihren Gedanken.
Garsende fuhr auf. Verdammnis! Sie hatte nicht Obacht gegeben.
Seit sie zum ersten Mal gesehen hatte, wie dieser Söldner sie mit seinen Blicken verschlang, war sie auf der Hut vor ihm.
Breitbeinig stand Hunfrit vor ihr und schwang seine Hüften vor und zurück, als wolle er ihr seine Mannespracht vorführen. Sein Blick schien auf ihrer Brust festgewachsen zu sein.
Garsende spürte, wie sich ihr Magen umstülpte, und ihre Hand um das Holzscheit begann zu zittern.
›Allmächtiger, lass mich jetzt keine Schwäche zeigen!‹, flehte sie stumm und schloss ihre verräterische Hand so fest um das Scheit, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Langsam stand sie auf.
Der Söldner war um keine Handbreit gewichen, und sein begehrlicher Blick wanderte gemächlich von ihrer Brust abwärts.
Kühl starrte sie ihn an. »Ich träume von einem Messer,
mit dem ich dir den Wanst aufschlitzen kann«, erwiderte sie, bemüht, ihre Eiseskälte in jedes Wort zu legen, ehe sie sich von ihm abwandte.
In ihrem Rücken hörte sie sein Gelächter, das ihr falsch in den Ohren klang. »Ich wette, du wirst noch anders darüber denken«, versprach er, und endlich hörte sie seine Schritte, die sich entfernten.
Langsam ließ Garsende ihren Atem entweichen, dann traf ihr Blick auf Matthäa, deren Hand mit dem Holzlöffel wie erstarrt über dem Kessel schwebte. Unmerklich schüttelte Garsende den Kopf und zwang sich zu seinem Lächeln, um ihr zu bedeuten, dass alles im Lot sei. Doch Matthäa ließ sich nicht täuschen. Mit einem ebenso mitfühlend wie hilflos anmutenden Seufzen drückte sie rasch Garsendes Arm. »Hast du nicht irgendein Kraut, das ich der Mahlzeit untermischen könnte, damit diesem Widerling die Lust vergeht?«, wisperte sie.
»Ein Dolch, um ihm Schwengel und Glocken aus dem Leib zu schneiden, wäre mir lieber«, knirschte Garsende leise.
Sie meinte es ernst. Die Söldner mussten Befehl erhalten haben, die Frauen in Ruhe zu lassen, sonst hätte der feiste Hunfrit sie schon längst in eine Ecke gezerrt. Aber wie lange würde ihn eine solche Anweisung noch abhalten? Ausgenommen Guillaume, dem jegliche Empfindung abhandengekommen zu sein schien, betrachteten auch die anderen Söldner Garsende mit diesem speziellen Funkeln im Auge, das nicht schwer zu deuten war. Aber Hunfrit war am aufdringlichsten und derjenige, der sich am wenigsten um Befehle zu scheren schien.
Wie sollte sie sich
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