Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Ohren weit mehr nach Befehl als nach Gebet klang, lenkte der Burggraf seinen Braunen zum mittleren Pfad.
Kaum war er darin eingetaucht, schlossen sich die Wipfel über ihm zu einem Blätterdach zusammen.
Hier kam er nur mehr im Schritttempo vorwärts. Die langsame Gangart bescherte Bandolf unwillkommene Muße, sich Gedanken darüber zu machen, welche Steine ihm Gottes unerforschlicher Ratschluss noch in den Weg werfen konnte.
Was, wenn Bruder Wynstan die Buchenburg nicht unbeschadet erreichte? Vielleicht wurde das Kloster beobachtet? Womöglich würde man ihn abfangen? Hatte er den jungen Mönch am Ende in den Tod geschickt?
Bruder Ordlaf hatte das Kloster schon vor der Sext verlassen, doch nun war die Sext schon weit überschritten. Und wenn der Prior seine Erkenntnis weitergegeben hatte, bevor er sich auf den Weg zur Höhle machte, dann würde Bandolf ihn dort womöglich nicht mehr allein antreffen. Oder aber, er würde gänzlich zu spät kommen.
In dem Fall konnte er nur hoffen, dass Bruder Wynstan sein Ziel unbeschadet erreichte und sein Marschalk rasch handelte.
Aber was würde geschehen, wenn es Herwald nicht rechtzeitig gelang, die Krähenburg abzuschotten? Oder wenn es dort geheime Gänge gab, durch die ihm die Kakerlaken mitsamt ihrer kostbaren Beute entschlüpfen konnten? Keinesfalls durfte die Heilige Lanze den Harudengau verlassen, sonst wäre Matthäa verloren!
Mit einem unterdrückten Stöhnen biss Bandolf auf seine bereits zerbissene Lippe. Was auch immer ihn an seinem Ziel erwartete, er würde seine Haut so teuer wie nur möglich verkaufen.
Der Pfad begann anzusteigen. Unter dem federnden Teppich aus Tannennadeln und verrottendem Laub wurde Felsgestein im Boden sichtbar, und auch das Unterholz zu beiden Seiten des Pfades schien nicht mehr ganz so undurchdringlich zu sein.
Wie viel Zeit war vergangen, seit er das Kloster verlassen hatte? Müsste er die Höhle nicht längst erreicht haben?
Unwillkürlich warf Bandolf einen Blick zu den Wipfeln der Bäume hinauf, doch die Laubkronen ließen ihn nur ein paar Flecken des blauen Himmels sehen.
Sein Gaul war stehen geblieben.
»Vorwärts«, knirschte Bandolf und drückte dem Braunen die Stiefel in die Flanken, während seine Gedanken zu all den Unabwägbarkeiten zurückkehrten, die in seinem Vorhaben lagen. Es gab so wenig, das er wirklich wusste! Aus dem Wenigen hatte er seine Schlüsse gezogen. Aber waren es auch die richtigen Schlüsse? Was, wenn er sich irrte? Wenn sich alles ganz anders verhielt? Was, wenn …
Unvermittelt machte der Pfad eine scharfe Biegung nach rechts und schien knapp fünfzig Schritte weiter vor einer graubraunen Felswand zu enden.
Süßer Jesus! Hier musste die Höhle sein!
Noch während der Burggraf abstieg, die Zügel seines Braunen an einer jungen Buche festband und die Fackel an sich nahm, die er am Sattel befestigt hatte, sah er sich aufmerksam um.
Hie und da ließ eine schwache Brise die Blätter an den Bäumen und die dürren Zweige des Gestrüpps am Wegrand erzittern. In der Ferne klopfte ein Specht. Doch nichts deutete darauf hin, dass sich außer ihm noch jemand hier aufhielt, und auch am Ende des Pfads, wo die Felswand aufragte, konnte er keine Bewegung ausmachen.
Mit einem raschen Griff an seinen Gürtel überprüfte Bandolf den Sitz von Schwert und Dolch, bevor er begann, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen.
Die Felswand lag noch gut zwanzig Schritte entfernt, als ein eigenartiges Geräusch ihn abrupt innehalten ließ. Es hatte geklungen wie ein metallisches Rasseln, war jedoch gleich wieder verstummt. In der linken Hand die Fackel, die andere am Schwert knauf, drehte Bandolf sich langsam um die eigene Achse. Dann schüttelte er den Kopf. Da war nichts. Er musste sich ge –
Da! Da war es wieder. Ein schwaches, metallisches Rasseln im Gebüsch direkt zu seiner Linken.
Noch während er herumfuhr, ließ er die Fackel fallen und tastete nach seinem Dolch. Aus dem Augenwinkel nahm er eine kaum merkliche Bewegung hinter dem Gestrüpp wahr, als er sich auf das schwarze Bündel warf, das offenbar dahinter kauerte.
Der Aufprall seines Körpers warf den Prior um, und Bandolfs erster Dolchstoß ging fehl. Doch noch während er zum nächsten ausholte, spürte er, dass etwas nicht stimmte. Ohne die geringste Gegenwehr blieb Bruder Ordlaf liegen.
Bandolf ließ den Dolch fallen, packte den Mönch an den Schultern und drehte ihn auf den Rücken.
»Bei allen Heiligen!«, entfuhr es ihm, als sein
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