Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Hauch, seine Lippen schienen sich kaum zu bewegen. »Ganz gleich, was hier geschieht, wenn ich sage: ›Lauft‹, dann rennt ihr beide zur Pforte«, flüsterte
er hastig. »Lauft hinter die Kapelle. Dort den Wildpfad entlang. Bei der ersten Kreuzung nehmt den Abzweig links nach Westen, dann den ersten Abzweig rechts nach Norden. Nach etwa zweihundert Schritten siehst du einen großen Findling. Nicht zu übersehen. Dahinter liegt eine Köhlerei, etwa hundert Schritt weit im Unterholz. Vom Pfad aus nicht zu sehen. Dorthin wende dich. Den Köhlersleuten kannst du vertrauen.«
Die Worte drangen ihr nur am Rande ins Bewusstsein, während ihr Blick wie gebannt der Bewegung seiner Hand folgte, die den Löffel in den Kessel tauchte.
Hinter sich hörte sie ein leises Zischen, als hätte Matthäa scharf den Atem eingesogen.
»Ich versuche, euch einzuholen. Aber wartet nicht. Versteckt euch, wenn jemand kommt«, raunte er. »Verstehst du?«
Ob sie verstand? Heilige Jungfrau! Das ergab doch alles keinen Sinn.
So schnell, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor, riss sie ihm den Löffel aus der Hand und rief: »Ich mache ja schon. Gebt mir die Schüsseln.«
Doch ihre Lippen formten »Nein.«
»Was …?«
»Hels Daumen«, zischte sie leise, während sie die Schale füllte. »Esst nicht davon.«
Er runzelte noch immer die Stirn und schien nicht zu begreifen. Plötzlich aber weiteten sich seine Augen. Für einen Augenblick starrte er sie verblüfft an, dann schien er nachzudenken.
»Wie rasch?«, flüsterte er, als sie ihm eine gefüllte Schale reichte.
Garsende beugte sich vor und gab ihm die zweite Schale. »Einige Stunden«, wisperte sie.
Wie bedauernd schüttelte er den Kopf.
»Ich hoffe, Ihr habt einen anständigen Wein unter dem Proviant«, rief Thierry herüber. »Was wir hier noch übrig haben, verdient den Namen nicht.«
»Seid Ihr mit einem Mosler aus Ragnolds Vorrat zufrieden? «, rief Lothar zurück. Einen Herzschlag lang sah er Garsende an, dann drehte er sich um und machte sich auf den Rückweg zum Lager der Söldner.
»Glaubst du ihm?«, flüsterte Matthäa hinter ihr.
Glaubte sie ihm? Kein Wort. Jedes Wort. Sie wusste es nicht.
Noch ehe ihre wild durcheinanderwirbelnden Gedanken eine Antwort hergaben, war Lothar unvermittelt stehen geblieben und schien angestrengt zum Altar hinüberzuspähen.
»Was habt Ihr denn?«, fragte Thierry.
Lothar antwortete nicht, und der junge Welsche sprang auf.
Auch Guillaume schien aufmerksam geworden zu sein. Mit einem Satz war er auf den Beinen, als Lothar die Schalen plötzlich fallen ließ und auf den Altar zurannte. Noch im Laufen schrie er: » A moi ! Beeilt Euch! A moi !«
Während Lothar den Altar erreichte, rannte Thierry an der Herdstelle vorbei, dicht gefolgt von Guillaume, dem frostigen Söldner.
Garsende spürte einen Stoß in ihrem Rücken. Sie fuhr herum und sah Matthäa ihr Gewand raffen. Offenbar hatte die Burggräfin rascher begriffen als sie, was Lothar vorzuhaben schien. Hastig griff Garsende nach ihrem Saum und steckte die Zipfel in ihrem Gürtel fest.
Als sie wieder aufschaute, hatten auch Guillaume und Thierry den Altar erreicht, während Lothar dahinter verschwunden war.
»Es ist der Sockel«, hörte sie seine Stimme. »Seht an den Seiten nach. Darunter scheint es eine Öffnung zu geben.«
Jede Faser ihres Körpers angespannt, tastete Garsende nach Matthäas Hand, ohne das Geschehen aus den Augen zu lassen.
An der Seite des Altars war der junge Welsche in die Hocke gegangen und fuhr mit der Hand über den Sockel. Guillaume hatte sich über den Sockel der anderen Altarseite gebeugt, als Lothar sich hinter dem jungen Welschen aufrichtete.
»Es tut mir leid, Thierry.« Bedauern schwang in seiner Stimme.
Der junge Welsche sah auf.
Es geschah so blitzschnell, dass Garsende kaum mehr wahrnahm als ein Aufblitzen und eine Bewegung von Lothars Arm. Dann sah sie Thierry neben dem Altar zusammensinken, während Lothar bereits zu Guillaume herumfuhr.
Für einen Augenblick schien der welsche Söldner überrascht, im nächsten war er zurückgesprungen.
» Traître! Je vous crucifierai!«, schrie er. Ein scharfes Zischen ertönte, ein metallisches Klirren und Lothars Stimme, der brüllte: »Lauft!«
Einen Herzschlag lang schien weder sie noch Matthäa in der Lage, sich zu rühren oder auch nur den Blick von den beiden Männern zu lösen, die den Altar lauernd umkreisten.
Ein plötzlicher Druck in ihrer Hand brachte Garsende zur Besinnung. Sie
Weitere Kostenlose Bücher