Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Schlüssel.«
Heilige Muttergottes, steh mir bei, ich brauche Luft zum Atmen! Garsende stand auf. »Dann rühre um und sieh zu, dass nichts anbrennt«, zwang sie sich mit ruhiger Stimme zu sagen, bevor sie aus der Halle floh.
Das Atmen schien auf dem Hof jedoch ebenso mühsam zu sein wie in der Halle. Nach wie vor war der Himmel grau und wolkenbehangen, die Luft zum Schneiden dick. Der Regen wollte und wollte nicht kommen.
Garsende seufzte. Im Begriff, in der Scheune nachzusehen, ob Filiberta dort wäre, hörte sie, dass es an der Pforte klopfte, und drehte sich um. Egin, der alte Torhüter des Burggrafen, öffnete, um Bruder Pothinus einzulassen, dessen flatternder Robe noch einige andere Männer aus seinem Suchtrupp folgten.
»Bringt Ihr Neuigkeiten? «, rief Garsende, raffte ihr Gewand und lief den Männern mit klopfendem Herzen entgegen. Dann sank ihr der Mut.
Die Männer starrten betreten auf den Boden, während der Kämmerer mit gerecktem Hals über ihre Schulter spähte, als hielte er Ausschau nach jemandem, der würdiger wäre als sie, seine Botschaft zu empfangen.
Endlich räusperte er sich und wandte sich an die Heilerin. »Wir haben etwas entdeckt.« Er schnippte mit dem Finger, und einer der Männer schob sich, ein Stoffbündel auf dem Arm, nach vorn. »Sieh es dir an und sag mir, ob es womöglich der Burggräfin gehört.«
Ein kurzer Blick genügte ihr, um das fein gewebte, leichte Tuch und die Stickereien zu erkennen, die zu Matthäas Umhang gehörten. Sie hatte den Mantel getragen, als Garsende sie zuletzt gesehen hatte.
Garsende spürte, wie das Blut aus ihren Wangen wich.
»Wo habt Ihr den Mantel gefunden?«, fragte sie mit belegter Stimme und mühte sich vergeblich, den dicken Knoten in ihrem Hals hinunterzuschlucken.
»Ein Fischer hat ihn heute früh am Rheinufer entdeckt und zu mir gebracht. Der Mantel hatte sich dort nahe dem Rheintor im Gestrüpp verfangen. Gehört der Umhang zu den Habseligkeiten der Burggräfin?«
Die Stimme des Kämmerers drang wie aus weiter Ferne zu ihr, und es dauerte eine Weile, bis Garsende begriff, dass er seine Frage wiederholt hatte. Ihrer Stimme nicht sicher, konnte sie nur nicken.
»Ich hatte dergleichen befürchtet«, erklärte Bruder Pothinus und schüttelte den Kopf. »So beklagenswert das sein mag, doch nun haben wir zumindest Gewissheit. Dies mag dem Burggrafen womöglich ein gewisser Trost sein.«
»Was … was meint Ihr denn mit Gewissheit?«, brachte Garsende endlich hervor.
»Nun, die Burggräfin ist offensichtlich am Ufer ausgeglitten. Dabei hat sich ihr Umhang gelöst und ist im Gesträuch hängen geblieben, während der Strom das arme Weib mitgerissen hat.« Er gestattete sich ein Seufzen. »Ein furchtbares Unglück.«
Matthäas warmherziges Lächeln … ihre Freude, als sie erfuhr, dass sie guter Hoffnung war …
Der aufdringliche Geruch nach Weihrauch, der dem Habit des Kämmerers entströmte, verursachte Garsende plötzlich Übelkeit. Sie trat einen Schritt zurück und schüttelte heftig den Kopf.
»Aber das ist doch nicht gewiss!«, rief sie. »Es muss andere Möglichkeiten geben, weshalb der Umhang dort gelegen hat!«
Bruder Pothinus wischte ihren Einwand mit einer ungeduldigen Geste beiseite.
»Fasse dich, Weib. Es war Gottes Wille. Damit musst du dich abfinden.« Er räusperte sich. »Ich werde einen Boten nach Sachsen schicken und dem Burggrafen die traurige Nachricht vom Ableben seiner Gattin übersenden. Und natürlich werden wir für das Seelenheil seiner Gemahlin beten. «
Er drehte sich um und schickte sich an zu gehen.
In Garsendes wild durcheinanderwirbelnde Gedanken drang die Erkenntnis, dass der Kämmerer die Suche nach Matthäa einzustellen gedachte. Hastig trat sie ihm in den Weg.
»Ihr dürft die Suche doch jetzt nicht aufgeben«, rief sie aus. »Nicht, bevor der Leich – « Die Stimme versagte ihr.
»Es ist, wie es ist. Wenn es dem Allmächtigen gefällt, wird der Leichnam der Burggräfin in einigen Tagen flussabwärts ans Ufer gespült werden, doch womöglich gibt der Strom sie auch nicht mehr her«, erklärte Bruder Pothinus und zuckte mit den Schultern. »Es steht nicht dafür, die Leute noch länger von ihrem Tagwerk abzuhalten, und es ist an der Zeit, dass wieder Ruhe in der Stadt einkehrt.«
›Heilige Muttergottes, hilf mir! Heilige Jungfrau, das darf nicht sein! Das darf nicht sein!‹ Halt suchend schlang Garsende die Arme um sich. Sie brachte kein Wort mehr hervor und starrte wie gelähmt den
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