Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
oder was sie fühlte? Sie war Heilerin, berufen, Leben zu erhalten, während ihm als rechter Arm der Fürsten das Leben offenbar nichts galt. Ganz abgesehen davon war Lothar von Kalborn ein Mann von Stand, während sie nur eine Tochter non matrimonium collocat war. Und letztlich würde sie ihn ohnehin nicht wiedersehen. Der König hatte ihn zum Vogelfreien erklärt. Wenn Lothar entkommen war, dann hatte er das Land längst verlassen.
Warum nur genügte es ihr dann nicht, all das zu wissen?
Der Fragen und ihrer eigenen Gesellschaft überdrüssig, hatte Garsende gerne zugestimmt, als Matthäa sie gebeten hatte, während der Dauer ihrer Schwangerschaft im Haus des Burggrafen Quartier zu nehmen.
Garsende liebte die Abgeschiedenheit ihrer Hütte im Wald und die Unabhängigkeit, die sie ihr gewährte. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sie es bedauert, ihr Heim über längere Zeit verlassen zu müssen. Doch in der Einsamkeit im Wald war es ihr nicht gelungen, den Gedanken zu entfliehen. In der Halle des Burggrafen hingegen herrschte stets Umtriebigkeit, und die mochte helfen, sie abzulenken.
Sie hatte recht behalten. Nur hin und wieder, wenn sie nicht Obacht gab, wie jetzt, dann kehrten die Gedanken wieder.
Unversehens wichen die Bäume zurück. Garsende hatte die Waldlichtung erreicht, in der auf einer kleinen Anhöhe
ihre Hütte stand. Der Anblick des Unkrauts, das in ihren sorgsam angelegten Beeten emporgeschossen war und ihre Pflanzen zu ersticken drohte, brachte sie vollends in die Gegenwart zurück und entlockte ihr ein tiefes Seufzen.
Es war schon nach der Vesper, als Garsende in das Haus des Burggrafen zurückkehrte. Kaum hatte sie den Fuß in die Halle gesetzt, stürzte Filiberta mit ängstlichem Gesicht auf sie zu, dicht gefolgt von Werno, dem kahlschädeligen Hausmeier des Burggrafen, und Hildrun, der jungen Magd.
»Dem Himmel sei Dank, dass Ihr endlich da seid«, rief sie.
Garsende runzelte die Stirn. »Was gibt es denn?«, fragte sie.
Ohne Umstände drängte sich Werno an der stämmigen Magd vorbei. »Die Herrin ist noch nicht zurückgekehrt«, verkündete er mit gewichtiger Miene, um gleich düster hinzuzufügen, dass er sich nicht wundern würde, läge die Burggräfin mit gebrochenen Gliedern oder Schlimmerem in irgendeiner Gasse.
»Sag doch nicht so etwas«, rief Filiberta flehend, während Garsende unwillkürlich einen Blick über die aufgebockte Tafel, die Herdstelle und in die schattigen Winkel der Halle warf. Doch von Matthäa war nichts zu sehen.
Beunruhigt wandte sie sich an die Magd: »War die Burggräfin zum Mittagsmahl denn nicht zu Hause?«
Ihre Hände knetend, schüttelte Filiberta den Kopf. »Wir haben uns noch nichts dabei gedacht, als die Herrin zur Sext noch nicht zurück war …«
»Es hätt’ ja auch sein können, dass sie unterwegs jemanden getroffen hätt’, Ihr wisst schon, wie das ist. Man
kommt ins Plaudern und vergisst dann, wie die Zeit herumgeht«, unterbrach sie Hildrun, die Augen riesengroß vor Aufregung.
Filiberta warf der jungen Magd einen finsteren Blick zu, nickte aber und fuhr fort: »Erst als die Glocken dann zur Non schlugen und die Herrin noch immer nicht da war, da machten wir uns Sorgen. Und weil Ihr auch nicht da wart und niemand sonst, da dachten wir, wir sollten sie suchen. Werno ist in die Schwertfegergasse zur Dietholderin gelaufen, aber da war sie nicht. Jacob hat die Gassen abgesucht, die sie womöglich gegangen ist, und Hildrun und ich haben uns beim Paulusstift umgetan, dort war sie aber auch nirgends. Und von den Leuten, die wir unterwegs fragten, hat niemand nicht sie gesehen.«
Bekümmert schaute sie die Heilerin an. »Wo kann sie denn nur sein?«
»Das geht nicht gut aus, hab’ ich noch heut’ früh zu Jacob gesagt, wenn die Herrin bei solchem Wetter ausgeht, wo es doch jeden Moment Blitz und Donner geben kann. Und wo doch die Kränke bei der Hitze in jeder Ecke lauert und man nie nicht weiß, wer welche hat«, erklärte Werno und schüttelte so gramvoll den Kopf, als sähe er Matthäa bereits tot auf einer Bahre liegen.
»Es mag ein Dutzend Gründe geben, weshalb die Burggräfin noch nicht zurück ist, da muss man nicht gleich den schlimmsten annehmen«, unterband Garsende ungehalten seine Unkerei, obgleich ihr von den Dutzend Gründen kein einziger einfallen wollte.
»Du warst also in der Schwertfegergasse und hast dich erkundigt, ob die Burggräfin noch bei der Witwe Diethold ist?«, vergewisserte sie sich.
»Wie Filiberta
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