Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Sächsischen, zur Burg, auf dem Buchenfels gelegen, und übergebe sie Bandolf von Leyen, Vogt daselbst und Burggraf von Worms.«
»Du übergibst die Botschaft nur dem Burggrafen, niemandem sonst«, schärfte Garsende ihm ein.
»Nur dem Burggrafen, niemandem sonst«, wiederholte der Bote.
Nachdem er die Halle verlassen hatte, ließ sich die Heilerin mit einem tiefen Seufzen wieder auf die Bank sinken.
Sie hatte lange gezögert, dem Burggrafen die Nachricht vom Verschwinden seiner Gemahlin zu schicken. Immer wieder hatte sie es hinausgezögert, in der Hoffnung, Matthäa würde gefunden werden, was eine solche Botschaft
überflüssig machen würde. Doch nun war der vierte Tag seit ihrem Verschwinden angebrochen, und es schien, als wäre Garsende die Einzige, die noch daran festhielt, dass man sie lebend wiederfinden würde.
Es hatte sich rasch herumgesprochen, dass die Burggräfin vermisst wurde, und am Morgen nach ihrem Verschwinden hatte sich halb Worms vor dem Anwesen des Burggrafen versammelt. Kaufleute, Weber, Tucher, Gerber, Bäcker und Fischer waren ebenso gekommen wie der Hufschmied, der Wirt vom Markt, der Fischerwirt und der Wirt vom Rostigen Kübel. Das Domstift und die Stifte von Sankt Martin, Sankt Paulus und Sankt Andreas hatten Brüder und Laien geschickt; Edle, die sich just in der Stadt aufhielten, ihr Gesinde, und neben Händlern und Handwerksburschen aus dem jüdischen Viertel hatten Leute des Bischofs vor der Tür gestanden, um bei der Suche nach der Burggräfin mitzuhelfen.
Überrascht und gerührt von diesem Aufmarsch, hatte sich Garsende im Stillen gefragt, ob dem Burggrafen wohl bewusst war, welches Ansehen er in Worms genoss.
Auch Bruder Pothinus, sonst ein eifriger Widersacher des Burggrafen, war erschienen. Offenkundig bemüht, auf die Heilerin herabzublicken, was angesichts ihrer Größe nicht so einfach war, hatte er erklärt, dass er von nun an die Dinge in die Hand nehmen würde.
Obwohl sie dem aufgeblasenen Kämmerer des Domstifts nur wenig Liebe entgegenbrachte, musste Garsende sich eingestehen, dass er sich in dieser Angelegenheit als nützlich erwies. Rasch hatte er aus dem bunten Haufen Suchwilliger einzelne Gruppen zusammengestellt, die wohlgeordnet die Stadt durchforschten. Garsende war überzeugt davon, dass es keinen Stein in Worms gab, den die Leute nicht umgedreht hatten. Dennoch blieb Matthäa verschwunden.
Das Klappern eines Schöpflöffels, der zu Boden fiel, riss die Heilerin aus ihren Gedanken.
»Dummes Gör, kannst du nicht aufpassen!«, schrie Filiberta unbeherrscht. Eine Ohrfeige klatschte, und Hildrun hielt sich erschrocken die rote Wange. Für einen Augenblick schien es, als sei die stämmige Magd ebenso erschrocken wie die junge, dann verzog sie mit einem Mal das Gesicht, schluchzte auf und hastete aus der Halle.
Hildrun sah ihr nach, ehe sie sich umdrehte und der Heilerin einen verstörten Blick zuwarf.
Mühsam rang sich Garsende ein Lächeln ab. »Nimm’s ihr nicht krumm. Sie ist erschöpft und traurig«, sagte sie und fügte im Stillen hinzu: ›Wie wir alle.‹
»Was soll ich denn nun tun?«, fragte Hildrun ratlos.
Garsende spürte, wie Gereiztheit in ihr aufstieg, und biss sich auf die Lippe.
Seit ihre Herrin verschwunden war, hatten die Hörigen unmerklich die Rolle der Burggräfin auf die Heilerin übertragen und wandten sich mit allem und jedem an sie. Obwohl Garsende nun schon etliche Zeit unter Bandolfs Dach lebte, war ihr nie bewusst gewesen, wie vielfältig Matthäas Pflichten waren, wie unzählig die Aufgaben, die sie augenscheinlich wie nebenbei bewältigt hatte.
Als Teil eines großen Haushalts wie dem des Burggrafen von Worms zu leben war eines. Ihn zu führen etwas ganz anderes. Und dazu fühlte die Heilerin sich keinesfalls berufen. Gewohnt, nur für sich selbst zu sorgen, hatte sie keine Vorstellung davon, wann es an der Zeit war, an Vorräten zu sparen oder großzügig mit dem Wein zu sein, welche Zuteilung an Brot den Knechten zufiel, und welche den Hörigen im Haus, wie man in Streitigkeiten verfuhr, wann man nachsichtig und wann man streng sein musste, ganz zu schweigen von all den ungezählten Kleinigkeiten, die
sonst noch in einem solchen Haushalt anfielen und geregelt sein wollten.
»Schneide noch ein wenig Speck für die Suppe. Wir müssen bei Kräften bleiben«, befahl sie schließlich.
»Aber es ist keiner mehr unten«, wandte Hildrun ein. »Der Speck ist in der Vorratskammer. Und für die Kammer hat nur die Herrin den
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