Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
übertönen.
Bandolf antwortete nicht. »Hast du Prosperius gesehen, seit deine Mitbrüder ihn ins Kloster gebracht haben?«, fragte er stattdessen.
Unter seinem gesenkten, karottenroten Schopf warf Bruder Wynstan ihm einen neugierigen Blick zu. »Nur einmal«, erwiderte er.
»Wann war das?«
»Vorgestern. Nach der Komplet.«
Für einen Augenblick schloss Bandolf erleichtert die Augen, dann runzelte er die Stirn. »Heißt das, du durftest zu ihm? Hast du mit ihm gesprochen?«
Bedauernd schüttelte Bruder Wynstan den Kopf. »Man hat uns streng verboten, mit Prosperius zu sprechen. Doch es ist ihm gestattet, nach der Komplet in der Kirche zu beten, wenn die anderen Brüder sich zur Ruhe begeben haben. Vorgestern war es meine Aufgabe, dem Bruder Sakristan zu helfen, nach der Messe die Altargerätschaften in die Silberkammer zurückzubringen. Darum konnte ich einen flüchtigen Blick auf Prosperius erhaschen, als man ihn in die Kirche brachte.«
»Wie geht es ihm?«, fragte der Burggraf.
»Er schien mir wohlauf zu sein. Nur ein wenig mager.« Ein spitzbübisches Grinsen schien das Apfelrot auf Bruder Wynstans Wangen zu vertiefen. »Wenn Ihr seine Unschuld bewiesen habt, wird er vom Kochkessel nicht mehr wegzubringen sein.«
»Zweifellos«, brummte Bandolf, eingedenk der Mengen, die sein junger Schreiber schon ohne vorheriges Fasten zu verschlingen pflegte.
Prosperius’ Appetit brachte ihn auf einen Gedanken. »Ist
es immer derselbe Mönch, der Prosperius die Mahlzeiten bringt und ihn in die Kirche führt?«
»Nein, Bruder Prior teilt diese Aufgaben unterschiedlich zu«, antwortete der junge Mönch, und noch bevor Bandolf seinen Gedanken weiterverfolgen konnte, platzte er heraus: »Prosperius wird nicht mehr lange bei uns in Sankt Mauritius bleiben.«
Abrupt blieb der Burggraf stehen und starrte ihn betroffen an. »Was, zur Hölle, soll das bedeuten?«
Offenkundig überrascht über den plötzlichen Halt, stolperte Bruder Wynstan noch einen Schritt vorwärts, ehe er ebenfalls stehen blieb.
»Ich hörte gestern, wie Prior Ordlaf zum Bruder Sakristan sagte, der Bischof sei endlich in Halberstadt eingetroffen«, stieß er ein wenig atemlos hervor. »Sobald der Ehrwürdige Vater aus Goslar zurückgekehrt sei, würde man den Teufelsnovizen nach Halberstadt schaffen, wo sich Seine Eminenz dann der Angelegenheit annehmen würde.«
»Verflucht noch eins!«, entfuhr es Bandolf. Mit dieser Möglichkeit hatte er nicht gerechnet. Wenn Prosperius erst in Halberstadt wäre und der Bischof sich, wie abzusehen, auf die Seite des Klosters schlagen würde, wäre es für Bandolf nahezu unmöglich, ihn dort herauszuschaffen.
Tief in Gedanken fuhr sich Bandolf über die Stirn. Die Zeit wurde knapp für Prosperius. Offenbar wollte man nicht bis Michaeli warten, und in Anwesenheit des Bischofs konnte er jederzeit angehört und verurteilt werden. Jetzt galt es mehr denn je, schnellstens herauszufinden, wer für die Ermordung der beiden Mönche verantwortlich war. Aber außer einigen vagen Vermutungen hatte er nicht die geringste Spur. Dass Prosperius selbst vielleicht über einen Hinweis verfügte, war womöglich seine letzte Hoffnung. Süßer Jesus, er musste unbedingt mit seinem jungen
Schreiber sprechen. Aber wie? Wäre es wirklich klug, sich mit Gewalt den Weg zu erzwingen?
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Bruder Wynstan den Kopf hob und ihn erwartungsvoll anschaute. Grübelnd kniff Bandolf die Augen zusammen. Was hatte der junge Mönch vorhin noch gesagt? Etwas, das ihn auf einen verwegenen Gedanken gebracht hatte.
War das zu bewerkstelligen?
Mit einem Blick in Bruder Wynstans blaue Augen, die die Welt so arglos zu betrachten schienen, unterdrückte Bandolf ein Seufzen. Doch dann schob er seine Zweifel beiseite.
Die Zeit drängte, und eine andere Möglichkeit fiel ihm nicht ein.
»Es wird dir widerstreben«, sagte er, »doch du musst mir helfen.« Und während er dem jungen Mönch erklärte, was er von ihm verlangte, sah er zu, wie das Apfelrot auf Wynstans Wangen verblasste.
KAPITEL 19
E s hatte einiger Überredungskunst bedurft, bis Bruder Wynstan eingewilligt hatte, zu versuchen, was der Burggraf von ihm verlangte.
Als Bandolf Stunden später in Begleitung seines wortkargen Marschalks die Buchenburg verließ, war er sich noch immer nicht sicher, ob den jungen Mönch nicht doch im letzten Augenblick der Mut verlassen würde. Um keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen, hatte der Burggraf beschlossen, zum Kloster
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