Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
nicht den Weg über Egininkisrod zu nehmen, sondern es mit jenem steilen Pfad aufzunehmen, der über den Bachsteg zum Mittelberg führte.
Die Sonne war nur mehr ein breiter roter Streifen über dem dunklen Grün des Waldes, als Bandolf und sein Marschalk den Steg überquerten.
Vor dem steil aufragenden Abhang blieben die beiden Männer stehen und schauten hinauf.
»Seid Ihr sicher, dass das ein kluger Einfall ist?«, brach Herwald sein langes Schweigen. Mit einer zweifelnd hochgezogenen Braue betrachtete er das dichte Gebüsch aus Brennnesseln, Brombeerranken, Disteln und anderem dornigen Gestrüpp, in dem der steile Pfad kaum zu erkennen war.
»Welchen Einfall meinst du?«, erkundigte sich der Burggraf. »Meine Absicht, diesen Scherz eines Pfades zu erklimmen, oder mein Vorhaben bezüglich des Klosters?«
»Nun, beides, nehme ich an«, meinte der Marschalk.
Da er bereits prüfte, ob das Bündel über seiner Schulter auch gut befestigt war, damit er die Hände freihaben würde, schien er keine Antwort zu erwarten.
Der Pfad war noch steiler und unwegsamer, als Bandolf ihn in Erinnerung gehabt hatte, und er bemühte jeden Fluch, den er kannte, bevor er mit hochrotem Gesicht, die kurze Tunika mit stacheligem Grünzeug gespickt, oben ankam. Sein Marschalk sah kaum weniger angestrengt und igelhaft aus, doch die einzige Bemerkung, die er sich gestattete, war ein verbissenes »Teufel auch«, während er sich an einem zähen Spross den letzten Rest des Abhangs hochzog.
Sie folgten dem Waldweg, den der Burggraf vor einigen Tagen mit Bruder Wynstan in umgekehrter Richtung gegangen war. Dieses Mal war sein Ziel das Kloster. Beunruhigt fragte sich Bandolf, ob es dem jungen Mönch gelungen war, seine Bitte dem Prior vorzutragen, ohne sich zu verraten, und ob der Prior ihm den Wunsch erfüllt hatte. Wenn nicht, musste Bandolf sich rasch etwas anderes ausdenken.
»Was die Hausmagd und Bruder Fridegist anbelangt …«, riss Herwalds Stimme ihn aus seinen müßigen Betrachtungen.
Bandolf warf ihm einen fragenden Blick zu, und der Marschalk fuhr fort: »Ingild hat den Tag über offenbar nichts anderes getan, als ihrem Tagewerk nachzugehen. Sie hat die Burg nicht verlassen. Bruder Fridegist hingegen schon. Gerhus, der Reisige, den ich beauftragt hatte, ihm zu folgen, berichtet, dass der Kaplan die Burg kurz nach dem Mittagsmahl verlassen hat. Er hat sich in Richtung Süden gewandt.«
»Dann hat er also doch jene Hufe am Papenbach besucht. Entgegen meinem ausdrücklichen Wunsch«, brummte Bandolf verärgert.
Zu seiner Überraschung schüttelte der Marschalk den Kopf. »Der Papenbach liegt nach Südwesten hin. Bruder Fridegist hat jedoch den Weg in südöstlicher Richtung eingeschlagen. «
»Mit welchem Ziel?«
»Zwischen einem Waldstück, das die Haruden Garkenholz nennen, und der Hufe Ripertingisrod gibt es offenbar eine Höhle. Und dort ist er hineingegangen.«
»In eine Höhle?«, wiederholte Bandolf verblüfft. »Was, zur Hölle, wollte er dort?«
Herwald zuckte mit den Schultern. »Ihr hattet befohlen, dass mein Mann sich unauffällig verhalten soll. Wie es scheint, hat Bruder Fridegist sich unterwegs immer wieder umgeschaut, und Gerhus befürchtete, dass er ihn in der Höhle entdecken würde. Also hat er sich draußen versteckt, bis der Kaplan wieder herauskam.«
Bandolf runzelte die Stirn. Dass der träge Kaplan sich ohne guten Grund durch die unwegsamen Gänge einer finsteren Höhle plagen sollte, erschien ihm unwahrscheinlich. Dennoch fragte er: »Ist es möglich, dass Bruder Fridegist die Höhle zufällig entdeckte und lediglich seine Neugier befriedigen wollte?«
»Nein«, sagte Herwald entschieden. »Der Eingang liegt nicht am Wegrand. Man gelangt nur über einen Trampelpfad dorthin. Auch meinte Gerhus, der Kaplan habe diese Richtung eingeschlagen, ohne zu zögern.«
»War außer deinem Mann und Bruder Fridegist sonst noch jemand in der Nähe?«
»Gerhus hat niemand anderen gesehen.«
»Eigenartig«, murmelte der Burggraf in Gedanken. Was hatte Bruder Fridegist dort nur gewollt?
»Wie lange blieb er in der Höhle?«, erkundigte er sich nach einer Weile.
»Das habe ich nicht gefragt«, meinte Herwald. »Aber Gerhus sagte, der Eingang läge eine knappe Wegstunde vom Buchenfels entfernt. Als Bruder Fridegist herauskam, machte er sich sogleich auf den Rückweg, und zur Non waren sie wieder auf der Burg.«
»Willst du mir sagen, Bruder Fridegist hat die Burg nur deshalb verlassen, um jene Höhle
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