Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
aufzusuchen?«, fragte der Burggraf erstaunt.
»So hat man es mir berichtet.«
Bandolfs Stirnrunzeln vertiefte sich. Anscheinend hatte sich der Kaplan gut eine Messe lang in der Höhle aufgehalten. Was hatte er so lange darin gemacht? Gebetet? Ob es sich vielleicht um eine Heiligenklause handelte, ähnlich wie die der heiligen Liutbirg?
Bandolf fragte seinen Marschalk, doch Herwald wusste es nicht.
»Erkundige dich«, befahl Bandolf. »Und sag Gerhus, wenn der Kaplan noch einmal in diese Höhle geht, soll er ihm folgen. Ich will wissen, was Bruder Fridegist an diesem merkwürdigen Ort zu schaffen hat.«
»Ja, Herr.«
Eine Weile zerbrach sich Bandolf noch ergebnislos den Kopf darüber, was sein Kaplan in jener Höhle zu suchen gehabt hatte, dann kehrten seine Gedanken wieder zu dem Vorhaben zurück, das ihn zu später Stunde nach Sankt Mauritius führte. Der Plan war in Eile geboren und wies bedauerliche Lücken auf, dessen war er sich bewusst. Ihm selbst mochte wohl nicht viel geschehen, doch er machte sich Sorgen, welche Folgen es für den jungen Wynstan haben konnte, wenn das Vorhaben fehlschlug.
Während die beiden Männer zügig den Waldweg entlangschritten, brach die Dämmerung herein, und als die Mauern von Sankt Mauritius zwischen den Bäumen aufragten,
erlosch just der letzte Streifen Rot am Himmel. Der Pfad, der rechts des Weges hügelaufwärts zur Pforte des Klosters führte, war kaum noch zu erkennen.
Herwald hatte seinen Beutel von der Schulter genommen und kramte darin, doch als er eine Fackel herauszog, hielt der Burggraf ihn zurück. »Nein«, raunte er. »Nimm die kleine Öllampe, das muss genügen. Wir wollen keine Aufmerksamkeit erregen.«
Herwald tat, wie ihm geheißen, dann fragte er leise: »Und nun?«
»Wir schlagen uns jenseits des Pfads durchs Unterholz zur rückwärtigen Seite des Klosters«, gab Bandolf ebenso leise zurück. »Dort gibt es noch eine kleine Pforte, die zum Friedhof hinter der Kirche führt. Wenn alles gut gegangen ist, hat Bruder Wynstan sie vor der Komplet aufgeschlossen. «
Obwohl es in gerader Linie kaum mehr als hundert Schritte sein konnten, schien es Bandolf eine Ewigkeit zu dauern, bis sie sich in fast völliger Dunkelheit zwischen den Bäumen und dem dichten Unterholz hindurchgekämpft hatten und die rückwärtige Mauer des Klosters vor ihnen lag. Dann dauerte es noch einmal geraume Zeit, um im spärlichen Licht der kleinen Öllampe den Zugang zum Friedhof zu finden. Ebenso von Efeu umrankt wie die Klostermauer, hob sich das niedrige Pförtchen kaum von dem Mauergestein ab.
Behutsam drückte der Burggraf gegen das Holz der niedrigen Tür und war so erleichtert wie erschrocken, als sie mit einem erbärmlichen Quietschen nach innen aufschwang.
»Du bleibst hier«, warf er flüsternd über seine Schulter zurück. »Sieh zu, dass niemand die Pforte zuschließt.«
Sein Marschalk stieß ein unbehagliches Grunzen aus.
»Ich hoffe, es wird nicht dazu kommen«, beantwortete Bandolf seine unausgesprochene Frage, bevor er durch das Pförtchen trat und sie behutsam hinter sich schloss.
Damit ihn das Licht nicht verriete, hatte Bandolf die Lampe bei Herwald zurückgelassen und nur ein kleines Bündel aus dem Beutel des Marschalks mitgenommen. Kaum war die Pforte zu, hüllte ihn die Dunkelheit ein. Bandolf blieb stehen. Wenn nichts fehlgegangen war, würde Bruder Wynstan ihn nach der Komplet bei der Pforte abholen. Irgendwo am Himmel musste der Mond aufgegangen sein, doch sein Licht drang nur schwach durch die Baumwipfel hindurch. Es dauerte geraume Zeit, bis der Burggraf die schemenhaften Schatten einiger Grabkreuze und die Fassaden der Apsis und des Glockenturms zu seiner Rechten ausmachen konnte, die kaum zwanzig Schritt von ihm entfernt waren. Leiser Gesang drang aus der Kirche, demnach dauerte die Komplet noch an.
Bandolf seufzte. Je länger er warten musste, umso mehr Dinge fielen ihm ein, die fehlschlagen konnten. Der Prior mochte Bruder Wynstans Bitte abgeschlagen haben. Der junge Mönch war nicht ans Flunkern gewöhnt, er könnte sich verraten haben. Oder man konnte ihn entdecken, wenn er sich zur Pforte der Kirche in den Friedhof hinausschlich, oder …
Ungeduldig stapfte der Burggraf zwischen zwei Grabkreuzen auf und ab. Die Zeit schien endlos dahinzutröpfeln. Als er endlich ein leises Knarren zu seiner Rechten vernahm und der Schein einer Lampe in dem Schatten aufflackerte, den die Fassade der Apsis auf den Friedhof warf, atmete er erleichtert auf.
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