Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
doch überhaupt nichts«, rief Prosperius kläglich. »Ich habe nicht gesehen, wer es war.«
Um eine Hoffnung ärmer, unterdrückte Bandolf ein Seufzen. »Wie auch immer«, fuhr er fort. »Bruder Wynstan hat mir von dem Streich erzählt, den du deinem Novizenmeister gespielt hast. Anschließend hat Bruder Edmund dir gedroht, er würde dein Vergehen vor die Kapitelversammlung bringen, und du überlegtest dir, wie du dich am besten aus deinen Schwierigkeiten herauswinden könntest. Was also geschah an jenem Morgen?«
Eine kleine Weile war nur das Knistern der Kerzen auf dem Altar zu hören, während sich Prosperius die Ereignisse dazumal ins Gedächtnis zurückzurufen schien.
»Ich hatte vor, noch einmal mit Bruder Edmund zu sprechen, wollte ihm erklären … um Vergebung …«, begann er endlich stockend zu berichten. »Gleich nach der Prim wollte ich ihm sagen, dass ich …« Mit einem zerknirschten
Seufzen zuckte er mit den Schultern. »Aber dann herrschte so ein Durcheinander, und ich konnte ihn nicht allein erwischen. « Allmählich schien er sich zu beruhigen, und die Worte kamen ihm rascher über die Lippen. »Seine Eminenz, der Erzbischof von Köln, war am Vortag im Kloster eingetroffen. Eigentlich hatte er beabsichtigt, noch einen weiteren Tag in Sankt Mauritius zu verbringen und das Hochamt zu zelebrieren. Aber dann war in der Nacht ein Bote mit einer Nachricht eingetroffen, die ihn offenbar nach Bodfeld an den Hof zurückrief. Jedenfalls verursachte sein unerwarteter Aufbruch nach der Prim beträchtliches Durcheinander, Bruder Edmund schien alle Hände voll zu tun zu haben, und immer war irgendjemand um ihn.«
Eine flüchtige Eingebung klopfte an Bandolfs Gedächtnis, doch ehe er sie einlassen konnte, war sie schon wieder verschwunden.
»Erst kurz vor der Terz sah ich, wie Bruder Edmund allein in die Kirche ging«, berichtete Prosperius weiter. »Ich folgte ihm, weil ich dachte, ich könnte dort ungestört mit ihm sprechen.« Er runzelte die Stirn. »Als ich die Kirche betrat, kniete Bruder Edmund vor dem Altar. Er schien mich nicht gehört zu haben. Noch ehe ich bei ihm war, stand er plötzlich auf und sah sich um. Mich hatte er offenbar nicht gesehen, obwohl ich ihm gewinkt habe.«
Prosperius drehte sich um und wies am Vierungspfeiler vorbei auf ein rechteckiges Eisengitter, das den Eingang nach unten zur Krypta markierte und in der Dunkelheit des Seitenschiffs kaum zu erkennen war. »Dort stieg er dann die Treppe zur Krypta hinunter. Ich dachte, er wollte vielleicht in die Silberkammer neben der Krypta, um das Altargerät für die Messe zur Terz heraufzuholen.«
Mit offenkundigem Erstaunen warf Bruder Wynstan ein: »Wie kamst du darauf? Die Altargeräte zu richten ist die
Aufgabe des Bruders Sakristan, nicht die des Novizenmeisters«, meinte er.
Prosperius zuckte mit den Schultern. »Aber was hätte er denn sonst dort unten gewollt?«
›Eine bedenkenswerte Frage‹, dachte der Burggraf, während sein junger Schreiber zögernd fortfuhr: »Zuerst wollte ich ja warten, bis er wieder heraufkäme, weil ich dachte, nun, ich wollte …« Er stockte.
»Es hat dich da unten schon immer gegruselt«, bemerkte der junge Mönch und grinste Prosperius an.
»Als wärst du je so versessen darauf gewesen, in die Krypta hinabzusteigen«, gab Prosperius empört zurück.
Ungeduldig rollte Bandolf die Augen. »Dann bist du dem Novizenmeister aber doch gefolgt«, lenkte er Prosperius’ Gedanken wieder aufs Wesentliche.
Schaudernd nickte Prosperius.
»Und dann?«, drängte der Burggraf.
»Dann fand ich ihn dort unten in der Silberkammer auf der Erde liegen. Da steckte ein Dolch in seiner Brust … und da war … Da war so viel Blut«, hauchte er.
Selbst im Halbdunkel, das in der Kirche herrschte, sah Bandolf, wie sein junger Schreiber abrupt die Farbe wechselte und würgte. Für einen Moment befürchtete er, der junge Bengel würde in Ohnmacht sinken, doch Prosperius ließ nur ein langgezogenes Seufzen vernehmen.
»Ich wollte ihm ja helfen und kniete mich neben ihn, aber dieser Dolch … der Geruch … und dann das viele Blut … Mir war ganz elend, und plötzlich wurde mir schwarz vor Augen«, gestand er und ließ kläglich den Kopf hängen.
»Hast du irgendjemanden gesehen, bevor du das Bewusstsein verlorst?«, fragte Bandolf. »In der Kirche? Auf der Treppe zur Krypta? In der Silberkammer?«
Mit betrübter Miene schüttelte Prosperius den Kopf.
»Ist dir sonst vielleicht irgendetwas Merkwürdiges
Weitere Kostenlose Bücher