Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
aufgefallen? Denk nach. War da vielleicht ein Geräusch? Ein Geruch? Irgendetwas, das da war, aber dort nicht hingehörte? Oder etwas, das fehlte?«
Erneut schüttelte Prosperius den Kopf. »Die beiden Truhen in der Silberkammer standen offen, doch es fehlte nichts«, meinte er. »Wäre etwas gestohlen worden, und man hätte das Gestohlene nicht bei mir gefunden, dann würde der Ehrwürdige Vater doch nicht geglaubt haben, dass ich es war, der …« Abrupt verstummte er und runzelte die Stirn.
Angespannt beugte Bandolf sich vor. »Da war doch etwas, habe ich recht?«
»Nun, ich …« Prosperius’ Stirnrunzeln vertiefte sich. Plötzlich kräuselte sich seine aufwärtsstrebende Nase, und er verzog angewidert die Lippen. »Da war ein eigentümlicher Geruch in der Silberkammer.«
Auch Bruder Wynstan war einen Schritt näher gerückt. »Was für ein Geruch?«, fragte er neugierig, noch ehe der Burggraf die Frage stellen konnte.
»Fisch«, platzte Prosperius heraus. Eifrig nickte er. »Ja. Es roch nach verdorbenem Fisch.«
»Fisch«, brummte Bandolf ernüchtert. Das war nun nicht der Hinweis, auf den er gehofft hatte. Es mochte alle möglichen Gründe geben, wieso es in der Silberkammer nach Fisch gerochen hatte, wenn die Erinnerung seinem jungen Schreiber nicht gar einen Streich gespielt hatte. Er seufzte.
»Du hast also das Bewusstsein verloren, als du neben der Leiche des Novizenmeisters knietest. Was geschah dann?«
Prosperius’ kleines Lächeln erstarb. »Ich kam zu mir, als der Bruder Sakristan mich auf die Füße zerrte. Und ehe
ich mich’s versah, hatten er, Bruder Nothelm und Bruder Hilgar mich zum Ehrwürdigen Vater geschleppt, und sie beschuldigten mich, ich hätte in einem Anfall unmäßiger Wut Bruder Edmund erstochen. Ich habe erzählt, wie es gewesen war, aber Vater Hademar und Prior Ordlaf wollten mir einfach nicht glauben. Als dann das Feuer im Glockenturm ausbrach, liefen beide hinaus, um nachzusehen, was der schreckliche Lärm zu bedeuten hätte. Sie ließen Bruder Hilgar, der mich bewachen sollte, in der Zelle des Abts zurück. Aber dann hörten wir plötzlich das Krachen, als der Turm einstürzte, und die Schreie unserer Mitbrüder. Ich sagte Bruder Hilgar, er müsse nachsehen, es sei bestimmt etwas Furchtbares passiert, und versprach ihm, ich würde mich nicht von der Stelle rühren.«
»Du hast ihn angelogen?«, warf Bruder Wynstan mit leisem Tadel ein. »Das hättest du nicht tun sollen. Du hättest auf unseren Herrn vertrauen müssen, anstatt dich davonzustehlen. «
»Was hätte das denn geholfen, wo Vater Abt und Prior Ordlaf doch davon überzeugt waren, ich sei der Meuchler gewesen?«, fuhr Prosperius auf. »Niemand hätte mir geglaubt. «
»Ich hätte dir geglaubt.«
»Wirklich?« Prosperius schenkte seinem Freund aus Kindertagen einen treuherzigen Blick. Dann aber winkte er ab. »Du bist stets der Gehorsamste von uns Dreien gewesen. Du hättest dein Gelübde nicht gefährdet, nur um mir beizustehen.«
Sichtlich betroffen, senkte der junge Mönch die Lider.
Dann blinzelte er und sagte leise: »Aber heute habe ich es getan. Ich habe meinen Prior hintergangen und meine Brüder.« Er schluckte.
Rasch trat Prosperius einen Schritt auf ihn zu und streckte
die Hand nach ihm aus, doch Bruder Wynstan wich ihm kopfschüttelnd aus.
»Warum bringst du dich auch immer nur in Schwierigkeiten? «
»Du tust gerade so, als hätte ich mir das gewünscht«, murrte Prosperius gekränkt.
Mit ärgerlicher Stimme gab der junge Mönch zurück: »Hättest du damals nicht das Harz auf Bruder Edmunds Platz – «
»Und was ist mit dir und Adelbald? Hättet ihr nicht an der Tür zum Refektorium Wache gestanden, damit ich – «
»Bei allen Heiligen, still jetzt. Alle beide«, fuhr der Burggraf unwirsch dazwischen. »Ihr könnt euch später noch zanken. Jetzt gibt es Dringenderes zu bereden.«
Die zwei jungen Burschen warfen sich einen betretenen Blick zu, dann senkten alle beide den Kopf.
»Nun denn: Gab es sonst noch etwas, das euch an jenem Tag aufgefallen ist, bevor der Blitz einschlug und Prosperius das Weite gesucht hat?«, fragte Bandolf in das Schweigen.
»Bis das Feuer ausbrach, ging ich dem Cellerar im Speicher zur Hand und schleppte Getreidesäcke in die Küche«, antwortete schließlich Bruder Wynstan. Entschuldigend fügte er hinzu: »Wegen der hohen Gäste war viel zu tun, da bemerkte ich nicht, was im übrigen Kloster vor sich ging.«
»Es waren Fremde im Kloster?«, merkte Bandolf
Weitere Kostenlose Bücher