Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
der Prior dort zu suchen gehabt? Das Kleinod, nach dem er Prosperius immer wieder fragte? Was war das für ein Kleinod? Aus dem Klosterschatz schien nichts abhandengekommen zu sein, also musste es sich um einen anderen Gegenstand handeln.
»Vielleicht ein Liebespfand«, überlegte Bandolf, eingedenk seiner Vermutungen bezüglich des Priors. Ein Liebespfand, das Bruder Ordlaf in Schwierigkeiten bringen würde, wenn man es in seinem Besitz fände? Hatte der ehrgeizige Adelbald am Ende das Liebespfand entwendet und wollte es in der Höhle verstecken? Hatte er beabsichtigt, Bruder Ordlaf damit zu erpressen? Der Prior mochte ihm auf
die Schliche gekommen sein, hatte womöglich beobachtet, wie Bruder Adelbald den Gegenstand entwendete, und war ihm bis zur Höhle gefolgt. Und dann? Der Prior hatte den jungen Mönch zur Rede gestellt, doch Bruder Adelbald leugnete. Dann war es zum Streit gekommen, in dessen Verlauf der Prior die Beherrschung verloren und Adelbald niedergestochen hatte.
Das ergab auch keinen Sinn. In dem Fall wäre der Prior nun wieder im Besitz dieses Kleinods und müsste Prosperius nicht danach fragen.
»Erdolcht«, murmelte Bandolf. Es war immer die Rede davon gewesen, auch Adelbald sei, wie dazumal der Novizenmeister, erdolcht worden. Die Klinge eines Mönchsmessers war klein und schmal. Die Wunde, die ein solches Messer verursachen würde, konnte zwar durchaus tödlich sein, doch wäre sie nicht mit einer Wunde verwechselt worden, die die größere, breite Klinge eines Dolchs im Leib hinterließ. Es bedurfte keiner Garsende, um das zu erkennen.
In einem Kloster wurde streng darauf geachtet, dass die Mönche keinen eigenen Besitz hatten. Wie also wäre der Prior – oder auch ein anderer Mönch – an einen Dolch gelangt? Oder an jenes mysteriöse Kleinod, das offensichtlich nicht zum Klosterschatz gehörte?
Wer besaß einen Dolch?
Tidread, der sich am Tag der Ermordung des Novizenmeisters in Sankt Mauritius aufgehalten hatte, besaß mit Gewissheit einen Dolch. Wo war er am Tag der Sonnenwende gewesen, als Bruder Adelbald ermordet wurde? Aber was konnte der Edelmann mit dem Novizenmeister oder dem jungen Adelbald oder auch mit diesem Gegenstand zu schaffen haben, den der Prior so dringlich zu suchen schien?
»Rein gar nichts ergibt hier einen Sinn«, knurrte Bandolf verdrossen in die Dunkelheit der Waffenkammer. Mit einem tiefen Seufzen warf er sich erneut auf die andere Seite der Bettstatt.
Er musste tiefer graben. Eine Weile grübelte er darüber nach, ob er am nächsten Morgen das Kloster noch einmal aufsuchen sollte, um nach dem Dolch zu fragen, der in Bruder Edmunds Leib gefunden worden war, und sich zu erkundigen, ob man einen runden Gegenstand bei Bruder Adelbalds Leiche entdeckt hatte. Doch schließlich verwarf er den Gedanken. Der Prior würde ihn nur ein weiteres Mal abspeisen, da konnte er ebenso gut auf die Rückkehr des Abtes warten. Lange würde es nicht mehr dauern, bis Vater Hademar aus Goslar zurück wäre. Einstweilen sollte er aber versuchen, mehr über Bruder Ordlafs Vergangenheit und jenes ominöse Kleinod herauszufinden. Auch konnte es gewiss nicht schaden, nachzuforschen, wo Tidread von Krähenburg sich an dem Tag aufgehalten hatte, als Bruder Adelbald ermordet worden war.
Über Tidreads Verbleib konnte er Melisend fragen, falls er von dem Edelmann keine befriedigende Antwort bekommen würde. Aber wen konnte er wegen des Priors ausforschen? Wie sich gezeigt hatte, waren Bandolfs Möglichkeiten im Harudengau ja mehr als begrenzt.
Der Burggraf seufzte.
Melisend schien ihm alles gesagt zu haben, was sie über Prior Ordlaf wusste. Unter den Bauersleuten pflegten sich Gerüchte zwar rasch zu verbreiten, doch würden sie ihm, dem Fremden, nichts sagen.
Bruder Fridegist würde vielleicht etwas über den Prior von Sankt Mauritius wissen. Er schien derlei Geschwätz nicht abgeneigt, wie die Ereignisse auf dem Bankett des Bischofs von Halberstadt zeigten, von denen Melisend
ihm erzählt hatte. Und die Dörfler würden sich dem sächsischen Geistlichen gegenüber wohl nicht so verstockt zeigen, wie sie es dem Burggrafen gegenüber taten.
Vielleicht konnte ihm auch der jüdische Kaufmann mit der einen oder anderen Auskunft dienen. Juden standen in dem Ruf, gewiefte Händler zu sein, und ein kluger Kaufmann verschaffte sich Aufschluss darüber, mit wem er einen Handel abzuschließen gedachte. Die meisten Kaufleute bereisten festgelegte Routen, die sie immer wieder an dieselben Orte
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